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„Wir wollen die zentrale Anlaufstelle zum Thema Schwammstadt/-region in Bayern werden!“

Anlässlich des 3. Wassersymposiums am 15.11.2023 wurde das neue Kompetenz- und Transferzentrum nachhaltige Schwammregion (ktns) aus der Taufe gehoben. Die Gründung des ktns geht im Wesentlichen als Reaktion auf die Ergebnisse des von der WILO-Stiftung und der Oberfrankenstiftung co-geförderten Vorhabens SPORE zurück. Wie wichtig das Thema mittlerweile ist und wie das neue Kompetenzzentrum den Akteuren in Verwaltung und Unternehmen helfen kann, die Folgen des Klimawandels abzumildern – das erklärt Prof. Günter Müller-Czygan, Leiter des Instituts für nachhaltige Wassersysteme (inwa), im Interview.

Beratung und Vernetzung gehören zu den Aufgaben des neuen Kompetenz- und Transferzentrums nachhaltige Schwammregion (ktns), das im Rahmen des 3. Wassersymposiums der Hochschule Hof offiziell gestartet ist. Bild: Landratsamt Hof;

Herr Prof. Müller-Czygan, warum hat man sich zur Gründung eines neuen Kompetenz- und Transferzentrums entschlossen?

„Die Gründung des ktns ist eine Reaktion auf die Bedürfnisse von Kommunen, Fachingenieur:innen, Architekt:innen und Stadtplaner:innen. Aber auch auf die Nachfrage der Unternehmen in Oberfranken und Bayern, die unsere Städte und Gemeinden auf den Klimawandel anpassen müssen. Das Thema Wasser steht dabei zunehmend im Fokus, denn die Auswirkungen des Klimawandels spüren wir in erster Linie in Form von häufiger auftretendem Starkregen und immer längeren Trockenperioden, wo uns dann das Wasser knapp wird.“

Und das Schwammstadt-Konzept kann hier effektiv helfen…

„Es liefert wirksame Lösungsansätze, ja. Hierbei wird anfallendes Regenwasser wie bei einem Schwamm gesammelt und festgehalten – z. B. in offenen Wasserflächen, in Rigolen (Rinne/Entwässerungsgraben, die Red.), in Erdspeichern oder auf speziellen Gründächern. Das Regenwasser fließt dann nicht mehr unkontrolliert über die versiegelten Flächen, wodurch Überschwemmungen vermieden oder zumindest abgemildert werden. Nach dem Regenereignis werden die Speicher entleert, was dann dem Auspressen des Schwamms entspricht. Im Sommer an heißen Tagen kann das gespeicherte Regenwasser für verschiedene Anwendungen wie z. B. die Bewässerung von Pflanzen genutzt werden, so wird kostbares Trinkwasser gespart.“

Die Hochschule Hof beschäftigt sich ja schon lange mit dem Konzept und gibt es weiter…

„In unseren beiden Projekten SPORE (Smart Sponge Region  Oberfranken) sowie im Lehrgang „Der Weg zur Schwammstadt – Stadtentwicklung in Zeiten des Klimawandels“ haben wir unterschiedliche Lösungen auf Basis des Schwammstadtkonzeptes analysiert und mitentwickelt und den Stand der Wissenschaft sowie die Technik mittlerweile mehr als 60 Teilnehmern näher gebracht. Neben den fachlich-technischen Inhalten spielt auch das Thema Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle, was durch Frau Prof. Manuela Wimmer als Nachhaltigkeitsexpertin seit Beginn unserer Aktivitäten im Bereich der Schwammlösungen bearbeitet wird. Gemeinsam haben wir den hohen Stellenwert der Nachhaltigkeit bei Schwammkonzepten festgestellt und entschieden, das neue Kompetenz- und Transferzentrum „nachhaltige Schwammstadt/-region“ zu nennen. In den Gesprächen mit Projektbeteiligten und Teilnehmenden wurde deutlich, dass es aktuell an zwei wesentlichen Dingen fehlt, damit die Akteure in Sachen Schwammstadt handlungsfähig werden können:

Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Auftakt des 3. Wassersymposiums machten deutlich, wie groß das Interesse an nachhaltigen Lösungen im Bereich des Schwammstadtkonzeptes ist; Bild: Landratsamt Hof;

Einerseits gibt es zwar viele gute Ideen und Anwendungsbeispiele, diese sind aber nirgendwo zentral verfügbar. Der zweite Punkt ist wahrscheinlich das wichtigere Problem: für die Übertragung der guten Ideen und Beispiele auf den eigenen Anwendungsfall fehlt den Akteuren Zeit und Erfahrung sowie ein geeigneter Fahrplan, wie man hier vorgehen muss.“

Wie kann das neue Kompetenzzentrum hier helfen?

„Genau zum zweiten Punkt haben wir am inwa passende Methoden entwickelt und wollen diese nun über das neue Kompetenz- und Transferzentrum den Akteuren zur Verfügung stellen. Wir wollen die fehlende zentrale Informationsstelle zum Thema Schwammstadt in Bayern und in Zukunft auch darüber hinaus werden. Und noch etwas ist uns in den Projekte klar geworden: der ländliche Raum wie Oberfranken braucht eigene angepasste Lösungen. Daher betrachten wir nicht nur die Schwammstadt, sondern auch die Schwammregion in Kooperation mit der Land- und der Forstwirtschaft.“

Wie unterschiedlich sind hier die Anforderungen und die Erwartungshaltungen?

„Wie man damit umgeht, dazu haben Kollegin Wimmer und ich zur Digitalisierung zwei umfangreiche Studien durchgeführt und Lösungswege aufgezeigt und diese für das Themenfeld Schwammstadt erweitert.

In den Gesprächen mit den Akteuren wurde deutlich, dass es zwingend notwendig ist, erforderliche Maßnahmen bei der Anpassung an den Klimawandel aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Beteiligten zu analysieren. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, dass infrage kommende Maßnahmen mit dem Arbeitsalltag der Akteure in Einklang gebracht werden und die zunehmende Aufgabenkomplexität berücksichtigt wird. Ansonsten scheitern die Bemühungen. Dieses Phänomen haben wir bereits bei der Digitalisierung erlebt und es wiederholt sich nun beim Thema Schwammstadt. Von diesen Erfahrungen profitieren wir nun auch bei der Schwammstadt. Für genau diese spezielle, gesamtheitliche Vorgehensweise haben wir mit der Mehrebenenanalyse eine geeignete Methode zur Komplexitäts- und Arbeitsalltagsanalyse entwickelt, die wir in SPORE und im Lehrgang bereits auf Herz und Nieren prüfen konnten.“

Was kann man sich darunter genau vorstellen?

„Mit der Mehrebenenanalyse können wir in Städte und Kommunen vorhandenes „Schwammpotenzial identifizieren und prüfen, wie eine Umsetzung ideal im Arbeitsalltag erfolgen kann.  Hierbei achten wir insbesondere auf die richtige Kombination der in Frage kommenden Maßnahmen mit den anderen Alltagsherausforderungen und können mit dem gesamtheitlichen Ansatz Synergiepotenziale mit anderen Projekten und Aktivitäten entdecken. So können Städte und Kommunen den Weg zur wassersensiblen Stadt/Region finanziell und personell besser bewältigen. Die Mehrebenenanalyse ist eng mit der ebenfalls gesamtheitlichen Vorgehensweise der Nachhaltigkeit verknüpft und hat sich bereits als sehr geeignet erwiesen und wird ein wichtiges Werkzeug im neuen ktns werden. Komplexitätsbewältigung und Nachhaltigkeit sind damit zwei wesentliche, eng miteinander verknüpfte Säulen des ktns.

Ganz im Sinne der Ziele unserer Kompetenzzentren an der Hochschule wollen wir die interdisziplinäre Expertise aus unseren Forschungsgruppen und der Kolleginnen und Kollegen für das Thema Schwammstadt/Schwammregion zusammenführen und den Akteuren der Region verfügbar machen.”

Prof. Günter Müller-Czygan

Bei der Bearbeitung unserer Projekte und im Zuge der Entwicklung des Lehrgangs ist uns aufgefallen, dass wir hier an der Hochschule Hof derzeit die einzigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind, die versuchen das Thema Schwammstadt/Schwammregion in ihrer gesamten Komplexität aus einer gesamtheitlichen Perspektive zu erfassen und aus dieser Position Werkzeuge zu entwickeln, um damit wirksam und zielgerichtet umzugehen. Mit dem Kompetenz- und Transferzentrum wollen wir zudem deutlich machen, warum Hof bayrischer Kompetenzstandort Wasser ist.“  

Prof. Dr. Manuela Wimmer und Prof. Günter Müller-Czygan vom
Institut für nachhaltige Wassersysteme an der Hochschule Hof (inwa);
Bild: Hochschule Hof;

Mit welchen konkreten Themen und Aufgaben soll sich das Kompetenzzentrum zunächst beschäftigen?

„Wir planen zwei wesentliche Arbeitsbereiche im ktns, die wir Wissensspeicher und -transfer sowie Beratung & Coaching nennen. Wir wollen einerseits das bestehende Wissen zum Thema Schwammstadt/Schwammregion in einem webbasierten Wissensspeicher sammeln und öffentlich gut nutzbar zur Verfügung stellen. Damit dieses Wissen auch in die Praxis kommt, ist ein entsprechender Transfer erforderlich, den wir u. a. in Form von Lehrgängen, Schulungen und Vorträgen, intensiver Netzwerkarbeit sowie mit Hilfe neu zu errichtender Testfelder für Praxistrainings sicher stellen wollen.

Mit dem zweiten Schwerpunkt von Beratung & Coaching wollen wir eine aktuelle Lücke schließen, die wir „Phase 0“ nennen…“

Phase 0? Was ist das?

„Damit die Lösungen und Ideen aus dem Wissensspeicher in die Umsetzung kommen können, müssen diese zuerst mit den lokalen Bedingungen z. B. mit Hilfe der Mehrebenenanalyse auf Eignung geprüft und dann für den jeweiligen Fall angepasst werden, bevor die Kommunen und ihre Planungsbüros mit der eigentlichen Planung beginnen können. Der Begriff der „Phase 0“ kommt daher, dass die Arbeit der Planungsbüros in die Leistungsphasen 1 bis 9 aufgeteilt ist. Die beschriebene neuartige Vorprüfung und Anpassung, die zeitlich vor der Leistungsphase 1 liegen sollte, ist in den normalen Leistungsphasen nicht enthalten. Wir wollen die Kommunen und Planungsbüros solange unterstützen und schulen, bis diese die „Phase 0“ eigenständig durchführen können.“

Wie sieht es mit der personellen Aufstellung aus?

„Das ktns wird organisatorisch dem Institut für nachhaltige Wassersysteme (inwa) angegliedert. Wir bemühen uns seit fast einem halben Jahr, eine ausreichende Finanzierung sicher zu stellen und waren dazu bei mehreren Ministerien vorstellig. Auch wenn unsere Idee eines neuen Kompetenz- und Transferzentrums nachhaltige Schwammstadt/Schwammregion auf viel Zustimmung stößt, konnten wir die gewünschte Anschubfinanzierung bislang nicht vollumfänglich realisieren. Hierbei ging es sowohl um die personelle als auch technische Ausstattung. Die Unterstützung von Einzelprojekten wurden uns aber zugesagt. Darüber hinaus erfahren wir hier in der Region enormen Zuspruch, hier gilt mein besonderer Dank unserem Landrat Dr. Oliver Bär und unserer Oberbürgermeisterin Eva Döhla. Wir sind aktuell dabei, die Finanzmittel für die ersten beiden Stellen für eine Dauer von 2 Jahren mit großer Hilfe unseres Präsidenten Prof. Jürgen Lehmann zu sichern und hoffen, dass wir dies im Laufe des 1. Quartal 2024 schaffen werden. Die laufenden Aktivitäten werden bis dahin durch die inwa-Koordination betreut. Sofern es sich um Fachthemen handelt, die inhaltlich einzelnen Forschungsprojekten zugeordnet werden können, unterstützen uns die Kolleginnen und Kollegen der Forschungsgruppen. So können wir das ktns Zug um Zug über verschiedene Förderprojekte aufbauen.“ 

Welche mittel- und langfristigen Ziele haben Sie sich gesetzt?

„Wir starten erst einmal damit, Anfragen aus SPORE zu bedienen, die innerhalb des Projektes nicht weitergehender bearbeitet werden konnten. Auch aus dem Symposium heraus gibt es bereits neue Anfragen, die wir in den kommenden Monaten unterstützen werden. In den kommenden 2-3 Jahren haben wir dann den Aufbau verschiedener Versuchseinrichtungen auf der Kläranlage Hof im Fokus, die wir in erster Linie im Rahmen von Forschungsprojekten errichten und betreiben wollen. Darüber hinaus wollen wir auch am Hochschulstandort verschiedene Schwammlösungen realisieren, um auch den Studierenden am realen Objekt die Thematik näher zu bringen und gleichzeitig damit an offenen Fragestellungen forschend zu arbeiten. Wie sich das ktns entwickelt, hängt im Wesentlichen von der erreichbaren Finanzierung ab, die durch das Karlsruher Urteil zum Bundeshaushalt nicht einfacher geworden ist.

Das Thema Schwammstadt/Schwammregion wird uns noch sehr lange erhalten bleiben, denn es ist eines der wichtigsten Maßnahmebündel zur Anpassung an den Klimawandel. Daher bin ich sicher, dass wir das ktns stetig ausbauen werden und seinen Stellenwert in Oberfranken und darüber hinaus deutlich machen können.“

Prof. Günter Müller-Czygan

Vielen Dank für diese Informationen!

Rainer Krauß

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