Kostenlos abonnieren

Werden Sie regelmäßig per E-Mail über neue Ausgaben der campuls informiert. Sie können Ihr kostenloses Abo jederzeit einfach online über den Abmeldelink im Newsletter kündigen.

Weitere Infos zu Datenschutz & Widerrufsrecht finden Sie hier.

Von Weltraumantennen zu medizinischen Stents – die heutige Forschung am ifm

In der Kleinstadt Münchberg befinden sich am dortigen Campus der Hochschule Hof gleich zwei Forschungseinrichtungen, die sich im Bereich Textil bei Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt-, Automobil-, Bauindustrie und Umwelttechnik einen Namen machen: das Institut für Materialwissenschaften (ifm) und das Fraunhofer-Anwendungszentrum für Textile Faserkeramiken (TFK). Mit der Einweihung des Technikums für Textiltechnologie und Klimatisierung in der Weberstraße im Jahr 2020 entwickelte sich der Standort stetig weiter hin zu einem nationalen und internationalen Kompetenzzentrum im Bereich Textil. Die ca. 1.000 m² große Technikumshalle wurde in einem Bereich nach den Richtlinien zur Verarbeitung von Carbon- und keramischen Garnen errichtet. Sie ist mit modernsten textiltechnischen Anlagen u.a. zur Herstellung von 3D-Gewebe ausgestattet. In den weiteren Räumlichkeiten der Hochschule stehen zudem auf einer Fläche von über 5500 m² ein Weberei-, Flechterei-, Vliesstoff- und Maschentechnikum sowie Labore für die chemische Ausrüstung und Prüfung zur Verfügung.

Das Technikum für Textiltechnologie und Klimatisierung; Bild: Hochschule Hof;

Damit hat der Campus Münchberg seit Gründung der „Königlich Höheren Webschule“ vor 125 Jahren nicht nur im Bereich der Lehre eine rasante und zukunftsträchtige Entwicklung genommen. Vor allem die dort angesiedelte textile Forschung lässt immer wieder staunen. Ein Grund mehr für die campuls-Redaktion im 2. Teil unserer Jubiläumsserie “125 Jahre Königlich Höhere Webschule Münchberg” zusammen mit Prof. Dr. Frank Ficker, Leiter des ifm sowie Leiter des Fraunhofer-Anwendungszentrums für Textile Faserkeramiken (TFK) und Professor für Technologien der Textilerzeugung insbesondere der Webtechniken, über Forschungsschwerpunkte sowie aktuelle Projekte in Münchberg zu sprechen.

Herr Prof. Ficker, wo liegen die Forschungsschwerpunkte des ifm in Münchberg?

„Am ifm legen wir unseren Fokus auf die Entwicklung moderner Funktionswerkstoffe. Wegen ihrer besonderen mechanischen, chemischen, elektrischen oder optischen Eigenschaften sind diese hochtechnologischen Werkstoffe unentbehrlich geworden. Knapper werdende Ressourcen und steigende ökologische Anforderungen an die Produktion und die Wiederverwertbarkeit von Materialien erfordern die Entwicklung intelligenter Werkstoffe und Werkstoffsysteme, die den Energieverbrauch senken und zusätzlich verbesserte Funktionalitäten gewähren. Auch das Recycling von Textilien und Verbundwerkstoffen ist ein immer wichtig werdender Aspekt.“

Woran forschen Sie am ifm derzeit konkret?

„Das ifm entwickelt in den Fachrichtungen Maschinenbau, Systemwerkstoffe, Textiltechnik und Verbundwerkstoffe neue Produkte und Fertigungsprozesse. Unser Institut zeichnet sich durch seine hohe Kompetenz und technische Ausstattung aus und ist unter anderem Technologieführer für die Fertigung verzweigter Geflechte.Das ifm versteht sich als Partner für anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Industrie und Wirtschaft. National und international arbeiten wir mit Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt, der Automobil-, Bauindustrie, der Medizintechnik und Umwelttechnik zusammen. Die Projekte reichen von Verfahren zur Herstellung von Weltraumantennen über naturnahe, antibakterielle Beschichtungen hin zu geflochtenen medizinischen Stents. In einer von der Textilindustrie geprägten Region bringt das ifm lokale Unternehmen durch direkten Transfer neuester Technologien in die Produktion voran.“

Prof. Dr. Frank Ficker, Leiter des Instituts für Materialwissenschaften
der Hochschule Hof (ifm) in Münchberg; Bild: Hochschule Hof;

Vom Weltraum in die Medizin – was für eine Bandbreite. Bitte erzählen Sie uns mehr über das Projekt zu den medizinischen Stents. Was kann man sich als Laie darunter vorstellen?

„Bereits seit mehreren Jahren forscht das ifm an der Entwicklung von Gefäßprothesen für die Medizintechnik, insbesondere für den koronaren, also den Einsatz am Herzen. Die beiden Hauptvorteile der geflochteten Stents sind eine bessere Flexibilität und Beweglichkeit bei der Implantation, sowie die verzweigte Struktur, die es erlaubt, Gefäßverzweigungen mit einem einzigen Stent, statt wie bisher angewendet, mit zwei Gefäßprothesen, zu behandeln. Am Hochschulcampus in Münchberg werden die neuartigen Stents dabei erstmals aus geeigneten medizinischen Werkstoffen in ihrer Einsatzgröße von 3 bis 8 mm Durchmesser maschinell geflochten. Unsere beiden Projekte „GeVeS – Geflochtene, verzweigte Strukturen für den Einsatz in Medizintechnik und Rohrsanierung“ sowie „KISS – Knospendes Implantierverfahren für Stentstrukturen“ wurden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Auf medizinische Stents für verengte Gefäße, die aus geflochtenen Strukturen bestehen, und ein entsprechendes Implantationsverfahren haben wir bereits zwei Patentrechte. Nun wollen wir die Erfindungen gemeinsam mit Partnern bis zur Marktreife bringen.“

Medizinische Stents als Gefäßprothesen – geflochten am Campus Münchberg;
Bild: Hochschule Hof;

In einem weiteren Projekt, das zu Beginn des Jahres gestartet ist, beschäftigen Sie sich mit der Entwicklung eines Verfahrens zum Recycling der Faserrohstoffe von laminierten Textilien. Was erforschen Sie genau in dem Projekt?

​„Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung eines innovativen Prozesses, um textile Verbundwerkstoffe, wie  Bezugstoffe in Automobilsitzen, zu recyceln. Dabei sollen zunächst die einzelnen Werkstoffe getrennt werden und bei ausreichender Reinheit aus den thermoplastischen PES-Anteilen Garne entstehen, die farbig sind oder färbbar, was neben der Materialtrennung eine wesentliche weitere Innovation zum allgemein bisher machbaren „Einheitsgrau“ der recycelten bunten Faserstoffe darstellt. Die Reststoffe aus der Produktion und Konfektion sollen in mechanische Verfahren zerkleinert, getrennt und dann regranuliert werden. Das zurückgewonnene Polyesters soll wieder dem Fertigungsprozess von Bezugstoffen zugeführt und somit der Werkstoffkreislauf geschlossen werden.“

Lassen Sie uns nun einen Ihrer weiteren Forschungsschwerpunkte näher beleuchten: die Vliesstofftechnik. Woran forscht das ifm im Bereich der Vliesstofftechnik derzeit und was ist die Kernaufgabe des Vliesstoffentwicklungszentrums (VEZ) in Münchberg?

„Vliesstoffe finden wir heute in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens, so zum Bespiel Bekleidung, Bauwesen, Automobil, Sport, Land- und Forstwirtschaft, Militär, Chemie und Verpackungen. Herausgreifen möchte ich als Beispiel die Einmalmasken, die zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 nicht ausreichend verfügbar waren. Die deutsche und europäische Industrie hat jedoch gezeigt, dass sie in der Lage ist, solche Versorgungslücken schnell und flexibel schließen zu können. Leider waren teilweise bereits nach einigen Monaten die gemachten Erfahrungen hinsichtlich Versorgungssicherheit wieder vergessen und nur noch der Preis ausschlaggebend.“

Ein Blick in die moderne Maschinenhalle in Münchberg; Bild: Hochschule Hof;

Wie können Unternehmen vom Knowhow und der Forschung am ifm sowie den Möglichkeiten des VEZ profitieren?

„Zunächst haben wir im Bereich Vliesstoffe hervorragend ausgestattete Labore und ein junges, motiviertes Team, das zunehmend Erfahrungen sammelt. Außerdem haben wir in Prof. Dr. Claus-Ekkehard Koukal jemanden gefunden, der sich auch Dank der von der Firma Sandler finanzierten Stiftungsprofessur intensiv um den Bereich kümmern kann.

Dann ist da natürlich auch noch das extrem innovative Umfeld des gesamten ifm, sowie die anderen Institute und insgesamt die Hochschule Hof, so, dass wir kooperierenden Unternehmen ein hervorragendes Gesamtpaket von Forschung und Entwicklung, Ausbildung (beispielsweise auch duales Studium) und Weiterbildung bieten können.“

Vielen Dank für das Gespräch.

Auf einen Blick – Woran wird am ifm im Bereich Textil gearbeitet und geforscht?

  • Innovative Textilien
  • Vliesstofftechnologie
  • Oberflächenfunktionalisierung
  • Textilveredelung und -färberei
  • Maschentechnologie
  • Spritzguss und funktionsintegrierte Bauteile
  • Staatliches Prüfamt für das Textilgewerbe (Textilprüfstelle)
Kirsten Hölzel

Weitere Themen