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125 Jahre „Königlich Höhere Weberschule in Münchberg“ – Die historischen Wurzeln

Mit einer eigens produzierten Artikelserie zum 125jährigen Jubiläum der Königlich Höheren Webschule in Münchberg feiert “campuls-digital” die großartige Tradition unseres Hochschulstandortes Münchberg. Beginnen möchten wir diese Reihe mit den historischen Wurzeln der textilen Ausbildung – ein Beitrag von Regionalhistoriker Dr. Adrian Roßner.

Die rauchenden Schlöte (im Vordergrund der Weberei Schoedel) standen einst für die Wirtschaftskraft der Stadt Münchberg; von den Umweltverschmutzungen sprach damals niemand; Bild: Stadtarchiv Münchberg;

Wer heute durch die Kulmbacher Straße in Münchberg fährt, kann noch immer den Geist der jahrhundertealten textilen Tradition der Stadt an der Pulschnitz spüren: Inmitten der eindrucksvollen Arbeiterwohnhäuser – im typischen Stil der Backsteingotik errichtet – und der HofTex, die einst als Weberei C. Seiffert gegründet worden war, erhebt sich das stolze Gebäude der „Königlich Höheren Webschule“, die seit 2000 als Campus zur Hochschule Hof gehört. Neben der Weberei Schoedel, die vor gut einhundert Jahren mit der längst abgerissenen Aktienfärberei zu den größten Betrieben der Stadt gehörte, und der erst vor kurzem mustergültig sanierten Weberei Stoeckel & Grimmler in der Gartenstraße, ist sie eines der letzten Artefakte, das vom Beginn der industriellen Textilproduktion in und um Münchberg erzählt.

Die textile Tradition in Münchberg

Deren Geschichte ist lang: Bereits im 14. Jahrhundert hatten sich die Menschen der Umgebung, nachdem die Landwirtschaft durch sich verschlechternde klimatische Verhältnisse in die Krise gerutscht war, mehr und mehr der Handweberei zugewandt, die ursprünglich rein auf der Leinenherstellung fußte. Ab dem frühen 15. Jahrhundert wurde dann erstmals die teurere Baumwolle eingeführt, mit deren Hilfe die Qualität der Waren immer weiter gesteigert werden konnte. Problematisch stellte sich dabei freilich der Bezug der Rohstoffe dar: Während der für den Lein notwendige Flachs auch in den harten nordoberfränkischen Verhältnissen recht gute Erträge brachte, musste die Baumwolle über Nürnberg aus Asien und Afrika importiert werden, was zur Herausbildung des sogenannten „Verlags“ führte. Die namensgebenden Verleger konzentrierten sich auf den Bezug der Rohstoffe, gaben diese an die lokal ansässigen Weber weiter und verkauften anschließend die daraus hergestellten Produkte, was zu einer klaren Trennung zwischen Herstellung und Vertrieb führte und aus dem Raum zwischen Bayreuth, Hof und Kulmbach das berühmte „deutsche Textildreieck“ werden ließ.

Durch geschickte Wirtschaftspolitik insbesondere während der preußischen Regierung unter Karl August Freiherr von Hardenberg im späten 18. Jahrhundert konnte der Absatz der Gewebe immer weiter vorangebracht werden, wodurch jedoch auch neue Probleme entstanden:

Immerhin ging die Expansion des Marktes auch mit einer sich aufheizenden Konkurrenzsituation einher, die vor allem von sächsischen und englischen Produzenten bestimmt wurde. In beiden Regionen war es durch den Einsatz von Wasser- bzw. Dampfkraft möglich geworden, die Spinnerei als ersten Teilbereich der Textilproduktion zu mechanisieren und damit die Kosten rapide zu senken.

Im Norden Oberfrankens sah man – da weder Wasser noch Kohle in genügender Menge vorhanden waren – indes allein die Spezialisierung auf immer komplexere Produkte als Möglichkeit an, dem steigenden Druck der Mitbewerber standzuhalten.

Steigende Konkurrenz und Spezialisierung – die Idee der Webschule

Während sich demnach sächsische und englische „Fabriken“ auf günstige Meterware konzentrierten, versuchte man vor allem rund um Münchberg, die „Buntweberei“ voranzutreiben. Bei dieser von einem Hofer Verleger eingeführten Herstellungsart sogenannter „Tüchlein“ wurden die Stücke nicht komplett gefärbt, sondern man verarbeitete die bunten Garne mittels immer komplexerer Schaftmaschinen (und später mithilfe der Jacquard-Technik) zu beeindruckenden Mustern. Anders als in Schlesien oder England, wo die menschliche Arbeitskraft innerhalb weniger Jahre im Rahmen einer „Revolution“ durch Maschinen ersetzt wurde, kam es in Münchberg damit zu einer langsameren Entwicklung, einer prozesshaften Industrialisierung, bei der die Handweberei sich bis weit in die 1880er Jahre halten konnte.

Die moderne mechanische Weberei in der Webschule; Bild: Stadtarchiv Münchberg;

Daher erkannte man die Ausbildung der Weber als eine der wichtigsten Aufgaben an. 1853 fanden sich in Münchberg zum ersten Mal verschiedene Personengruppen unter der Leitung des Landgerichtsassessors von Baumer zusammen, um über die Gründung einer textilen Ausbildungsstätte, einer „Fachschule“, zu sprechen. Neben Vertretern der Webergewerbsvereine waren auch „Fabrikanten“ darunter, wie sich die Verleger zwischenzeitlich nannten. Ausgehend von dieser lokalen Initiative wurden die Planungen schnell in immer größeren Bahnen vorangetrieben und schon im Dezember 1853 schrieb die Gruppe einen Brief an die Regierung von Oberfranken, in dem deutlich gemacht wurde, dass „Münchberg als Mittelpunkt der oberfränkischen Webindustrie“ sich als Standort für eine zu gründende Bildungsstätte perfekt eignen würde. Sicher hatte man sich dadurch eine finanzielle Beteiligung erhofft, die jedoch sehr viel geringer ausfiel, als erwartet. Schlussendlich schoss die Regierung zwar Mittel aus einem Fonds zu, den man 1848 zur Unterstützung der Weberbevölkerung gegründet hatte, doch ist die Initiative nebst ihrer grundlegenden Finanzierung klar als lokale zu definieren.

Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums des Handels und der öffentlichen Arbeiten vom 23. Juni 1854 mit Genehmigung für die beantragte, erste Weberschule; Bild: Stadtarchiv Münchberg;

Schon 1855 konnte die Schule in der heutigen Bismarckstraße ihren Betrieb aufnehmen: An insgesamt sechzehn Webstühlen, Schaft- und Jacquardmaschinen, begann der Unterricht, der sich aus praktischen und theoretischen Teilen zusammensetzte und auch die Allgemeinbildung bspw. im Rechnen und der Geschichte mit einschloss. All jene Schüler, die sich das Schulgeld nicht leisten konnten, durften bei lokalen Fabrikanten aushelfen, um sich etwas dazu zu verdienen. Zu nennen ist dabei vor allem Theodor Fleißner, der nicht allein dem Verwaltungsausschuss der Schule vorstand, sondern auch aus seinem eigenen Verlag heraus immer wieder Aufträge an die Schüler vermittelte, um ihnen so unter die Arme greifen zu können.

Der Siegeszug des Dampfes

Dennoch, aller Förderung und Unterstützung zum Trotz, waren die ersten Jahre der Weberschule geprägt vom Überlebenskampf nicht allein der Institution, sondern der Handweberei en gros. 1864 ging die Anstalt schließlich in die Obhut des Distrikts Münchberg über, was wenigstens die angespannte Finanzsituation ein wenig beruhigte. Darüber hinaus wurden immer häufiger „ausländische Muster“ importiert und den Schülern vorgelegt, um diese an die neuesten Moden und Geschmäcker heranzuführen, womit am Ende auch erste Medaillen bei verschiedenen Gewerbe-Ausstellungen gewonnen werden konnten. Und doch blieb eine Sache vollends klar: Die Handweberei würde früher oder später – aller Ausbildung und Förderung zum Trotz – gegenüber der sich immer weiter entwickelnden mechanischen Produktion das Nachsehen haben. Die Münchberger Verleger hatten diesen Umschwung längst auf dem Schirm und waren aktiv geworden.

Nachdem 1835 der „Adler“ zwischen Nürnberg und Fürth als erste Dampfeisenbahn auf deutschem Boden seine Jungfernfahrt erfolgreich abgeschlossen hatte, waren Planungen laut geworden, das gesamte Königreich Bayern mithilfe einer „Magistralstrecke“ zu durchqueren: Diese „Ludwig-Süd-Nord-Bahn“, benannt nach Ludwig I., der entgegen älterer Betrachtungen der technischen Entwicklung durchaus aufgeschlossen gegenüberstand, sollte nicht allein den Süden mit dem Norden verbinden, sondern auch den Grenzverkehr mit Sachsen sicherstellen und so den Import eines Betriebsmittels ermöglichen, das für die weitere Entwicklung auch der Münchberger Industrie von elementarer Bedeutung war, der Kohle!

Das Maschinenhaus der Webschule (StA Münchberg)

Man war sich allerorten darüber im Klaren, dass ein Anschluss an die Strecke den „Take-Off“ bedeuten würde, die Möglichkeit der Mechanisierung der Produktion, was gewisse Begehrlichkeiten weckte. Am Ende hatten sich Hof und Münchberg mit anderen Städten zusammengeschlossen, um so den Bau der Trasse entlang ihrer eigenen Grenzen vorantreiben zu können, wobei man deutlich mit der gut gehenden Weberei und anderen „Industrien“ argumentierte, die – sollte die Bahn nicht kommen – die Region in ein goldenes Zeitalter führen würden.

Tatsächlich kam die Strecke; und tatsächlich begann mit dem ersten Zug 1848 und dem Import sächsischer Steinkohle im Hofer Raum der Siegeszug des Dampfes: Schon ein Jahr später ging die erste Dampfmaschine ans Netz und läutete so den Beginn einer neuen Ära ein. Binnen weniger Jahre schossen die ersten Großbetriebe aus dem Boden, wobei auffällt, dass neben der Spinnerei (in Bayreuth, Hof und Kulmbach) auch die Appretur vorne mit dabei war, während die Weberei noch immer in den Händen der Handwerker verblieb. Daraus wurde immer wieder eine gewisse Rückständigkeit abgeleitet, was jedoch nicht den Tatsachen entspricht. Ganz im Gegenteil war die Entwicklung der Webmaschinen schlichtweg noch nicht weit genug vorangeschritten, um die spezialisierte Produktion, die sich rund um Münchberg angesiedelt hatte, übernehmen zu können, weshalb man sich auf die Mechanisierung der restlichen Teilbereiche konzentrierte.

Die ursprüngliche Webschule (sie diente später als Pensionat für die Schüler) in der
Bismarckstraße; Bild: Dr. Adrian Roßner;

Auf dem Weg zum frühen Technologie-Hotspot

Nachdem in den 1880er Jahren die ersten Webstühle auf den Markt gekommen waren, holte man die Mechanisierung aus dieses Produktionsschrittes jedoch umso schneller nach: 1883 gründete Johann Georg Schlegel, ein Verleger aus Zell, die erste mechanische Weberei in Münchberg, 1884/85 folgten Friedrich Schoedel, Thomas Hofmann und andere Fabrikanten nach. Trotz dieser immer mehr Fahrt aufnehmenden Entwicklung, blieb die Weberschule weiterhin auf das Handwerk fokussiert, was vor allem an ihrem Leiter, Direktor Hirschberger, lag, der „aus seiner Abneigung gegen den ‚Kraftstuhl‘ nie einen Hehl gemacht hatte“. Die folgende Initiative zur lange überfälligen Neu-Ausrichtung der Anstalt ging erneut von den lokalen Unternehmern aus: Sie hatten immensens Interesse an gut ausgebildeten „Facharbeitern“ und in vielen Fällen auch die eigenen Söhne in den Unterricht gesandt. Der Helmbrechtser Fabrikant Heimeran und der Münchberger Verleger Jahreis forcierten daher ab 1895 eine komplette Neu-Ausrichtung des Syllabus mit einer deutlicheren Ausrichtung auf die Fabrikproduktion und spezialisierte Berufe wie „Musterzeichner“ und Maschinenschlosser.

Parallel dazu stellte auch das in die Jahre gekommene Schulgebäude mitten in der Stadt ein immer größeres Problem dar, sodass man einen kompletten Neubau plante: Auf einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Grundstück in der Kulmbacher Straße wurde schließlich der repräsentative, bis heute existente Bau errichtet, an dem sich eine moderne Shedhalle anschloss. In ihr lieferte eine 25 PS starke Dampfmaschine die Kraft zum Betrieb von 25 Webstühlen und anderen für die Webvorbereitung notwendiger Maschinen. 1898 konnte die nunmehr vom Staat übernommene und als „Königlich Höhere Webschule“ titulierte Einrichtung unter Leitung des Direktors Josef Schams ihren Betrieb aufnehmen, was den Anlass des diesjährigen Jubiläums liefert. Die Webschule bildete fortan nicht allein das Herz der Ausbildung für die Münchberger Betriebe, sondern auch das Zentrum der Textilindustrie in Bayern. Diese Bedeutung wird auch an Schams eigenem Engagement deutlich. Die von ihm verfassten Werke zur Weberei zählten jahrzehntelang zum Standard und wurden auch außerhalb der Schule gerne zu Lehrzwecken eingesetzt.

Ein „Prospect“ zur Einweihung der Schule; Quelle: Stadtarchiv Münchberg;

Trotz dieses Siegeszugs der Mechanik überließ man die Handweber, die nach wie vor kleinere Aufträge annahmen, nicht einfach ihrem Schicksal: Ab 1900 versorgte sie ein Wanderlehrer, der jeden Weberort mehrmals im Jahr aufsuchte, mit den neuesten „Dessins“ (Designs) und führte sie an immer moderne Fertigungsarten heran. Besonders begabte Jugendliche warb er indes für die Webschule in Münchberg ab, um sie aus der Handweberei heraus zur Fabrikproduktion zu überführen. In den 1910er Jahren war er es schließlich auch, der für die Handweber moderne, an die Fabrikarbeit angepasste Lohntarife aushandelte und damit zu einer Gleichstellung der verschiedenen Produktionsarten führte.

Die Absolventenklasse der Webschule im Kriegsjahr 1916 unter Dr. Reinhardt Schmalz; Bild: Stadtarchiv Münchberg;

Von der königlichen Webschule bis zum modernen Hochschulstandort

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und zugleich des Königreichs Bayern wurde die Einrichtung zur „Staatlich Höheren Fachschule für Textilindustrie“ und erstmals erweitert: Das Hauptgebäude erhielt ein weiteres Stockwerk und für die Handweberei-Ausbildung, die Stickerei und die Webvorbereitung kamen eigene Räumlichkeiten hinzu. 1950 kam es erneut zu einem tiefgreifenden Wandel: Die „Staatliche Textilfach- und Ingenieurschule Münchberg“ ebnete den Weg hin zu einer umfassenden Neuausrichtung, die im Rahmen der Fachhochschulreform 1968 die Trennung zwischen Fachschule und Hochschule erlaubte. Letztgenannte kam drei Jahre später als „Abteilung Texttechnik und Gestaltung“ zur Fachhochschule Coburg und wurde nach Gründung der Hochschule Hof zum 1. März 2001 dieser als Campus zugeordnet.

Die Geschichte der Weberschule in Münchberg zeigt damit auch exemplarisch die immer wieder notwendige Neu-Erfindung der Textilindustrie par excellence auf: Ausgehend von der lokal betriebenen Ausbildungsstätte, über die staatliche Einrichtung bis hin zur modernen Hochschule hat sie verschiedene Höhen und auch manche Tiefen erlebt, die durch Erfindungsgeist und eine gewisse Anpassungsfähigkeit durchschifft werden konnten. Darüber hinaus ist wichtig deutlich zu machen, dass all jene Entwicklungen stets „von unten“ begannen und von den Menschen vor Ort getragen wurden; ihr Einsatz für die Sache, ihr Mut und ihr Geschäftssinn machten aus Münchberg – wie dem Hofer Land im Allgemeinen – das „Bayerische Manchester“ mit der größten Industriedichte Deutschlands. Wir dürfen stolz auf diese Entwicklung sein – auch darauf, mit der Schule ein Zentrum der Wissenschaft und Industrie vorweisen zu können, das damit zugleich auch einen elementaren Bestandteil zur regionalen Kultur wie Identität beisteuert.

Zum Autor:

Dr. Adrian Roßner (Bild):
Nach dem Abitur in Münchberg hat Adrian Roßner Englisch und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien an der Uni Bayreuth studiert. Ab 2017 promovierte er am Institut für Fränkische Landesgeschichte in Thurnau zum Thema „Geordnete Moderne durch industrielle Entwicklung. Impulse der Industrialisierung auf Wirtschaft, Gesellschaft und Infrastruktur im Münchberger Raum“. Die Promotion schloss er 2023 ab und ist seitdem als Projektkoordinator für das Wissenschaftszentrum Kloster Speinshart tätig.


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