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App für die Erfassung von Seltenen Erkrankungen: „Die Bürger forschen mit uns!“

In Europa gilt eine Erkrankung als selten, wenn diese nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen betrifft.  Auf dem Weg zur Diagnose erleben Betroffene oft eine Arzt-„Odyssee“, da auch Fachkräfte und spezialisierten Einrichtungen für diese Erkrankungen selten sind.  Mit ca. 8000 verschiedenen Seltenen Erkrankungen und ca. 4 Millionen Betroffenen in Deutschland sind die Erkenntnisse der Wissenschaft schwerer zugänglich. Das Projekt SelEe – Seltene Erkrankungen – will hier Abhilfe schaffen und die Sichtbarkeit für diese Krankheiten erhöhen. Eine App ist gerade neu entstanden (Android und iOS) und soll unterschiedlichste Daten zusammenführen. Wir haben dazu mit dem Projektleiter Prof. Dr. Jörg Scheidt gesprochen.

Prof. Dr. Jörg Scheidt forscht an seltenen Erkrankungen und bindet dabei die Betroffenen
ein; Bild: Hochschule Hof;

Im Projekt SelEe ist ein neuer Meilenstein erreicht, eine neue App. Bevor wir über die App sprechen, möchte ich zunächst noch wissen: Worum geht es im Projekt SelEe?

„SelEe möchte neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Seltenen Erkrankungen gewinnen. Ganz wichtig: Wir binden die Bürgerinnen und Bürger direkt ein, d.h. sie forschen mit uns. Denn oft ist es so, dass Betroffene von Seltenen Erkrankungen sehr gut informiert sind, manchmal sogar besser als ihr Hausarzt. Und deswegen ist ihr Wissen sehr wichtig für uns. Insgesamt sind die Kenntnisse über Seltene Erkrankungen sehr heterogen, hier wollen wir Klarheit schaffen.“

An wen genau richtet sich die App denn?

„Die App richtet sich an Betroffene, ihre Angehörigen und auch ganz bewusst an Selbsthilfegruppen, gerade auf letztere bauen wir stark. Diese Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind sehr motiviert. Damit es für sie auch passt, hat von Anfang an das sog. „Kernforschungsteam“ mitgearbeitet. Es besteht aus zehn Personen aus Selbsthilfegruppen. Zumeist handelt es sich dabei um Frauen, die Leiterinnen der Gruppe sind und zum Teil eine große Fachexpertise besitzen, z.B. selber Ärztinnen sind. Aber auch Mütter von betroffenen Kindern sind dabei.“

Welche Art von Daten wird mit der App erfasst?

„Zunächst einmal soll die App kalenderartig Gesundheitsdaten speichern. Man kann seine Daten regelmäßig täglich oder auch nur monatlich eintragen. Da es so viele verschiedene Krankheiten gibt, war es tatsächlich schwierig die App zu erstellen. Wir sind dann auf die Idee gekommen, dass wir sie möglich frei gestalten, also in einer Art Baukastensystem.  So lassen sich Krankheiten mit den unterschiedlichsten Ausprägungen eintragen, weil das System nicht starr ist.

Sie können also sowohl Anfallsdaten, Gewicht, Blutdruck, Puls oder auch die Schlafqualität eintragen, die Patienten konfigurieren das ganz nach Bedarf und treffen so auch die Entscheidung, was genau ist wichtig für ihre Krankheit.”

Prof. Dr. Jörg Scheidt

Und da kommen dann auch wieder die Selbsthilfegruppen ins Spiel: Sie können weiterhelfen, wenn man noch gar nicht so genau weiß, auf was man achten muss und welche Daten wichtig sind. Wir können auch Vorlagen von den Selbsthilfegruppen in der App bereitstellen. Technisch gesehen gibt es von uns Support, wenn gewünscht: Auf der Webseite und in der App haben wir Erklärvideos oder wir können auch individuell per Videokonferenz unterstützen.“

Wie sicher sind die Daten gelagert?

„Natürlich sind die eingegebenen Informationen sehr sensible Daten, daher wird höchster Wert auf Datenschutz und Datensicherheit gelegt. Dazu wird weitgehend auf die Erfassung persönlicher Daten wie Name, Adresse und genaues Geburtsdatum verzichtet. Außerdem erfolgen alle Datenübertragungen verschlüsselt. Zur Auswertung der Daten werden diese vollständig anonymisiert.“

Wenn Sie es noch einmal kurz zusammenfassen, was haben die Patienten von der App?

„Das Wichtigste: Bei regelmäßigen Einträgen hat man eine individuelle Auswertung seiner Daten, die sich auch als pdf-Dokument teilen und ausdrucken lässt. Die Daten kann man auch als csv-Datei für die Weiterverarbeitung in Excel herunterladen. Das Meiste ist sowieso freiwillig anzugeben.

Zu den aktuell dabei behandelten Krankheiten zählen z.B.:

  • Lennox-Gastaut-Syndrom
  • Vaskulitis
  • Neurofibromatose
  • Sarkoidose
  • Granulomatose mit Polyangiitis (GPA)
  • Hypophyseninsuffizienz
  • Aplastische Anämie (AA)
  • Arrhythmogene Erkrankungen
  • ionenkanalerkrankungen (Brugada-Syndrom, CPVT, Long-QT-Syndrom,
  • Short-QT-Syndrom)
  • Arrhythmogene Kardiomyopathie (ARVC/ACM)

Da die App noch ganz neu ist, haben wir bislang nur wenige Patientinnen und Patienten im System. Aktuell sind es 30 und unser Ziel wären um die Hundert. Auch wenn sich das jetzt wenig anhört, sind wir da guten Mutes, denn wir haben bereits in einem anderen Projekt dem Deutschen Kopfschmerz- und Migräneregister klein angefangen und haben jetzt 8000 Beteiligte. In der nächsten Zeit werden wir uns also ganz stark darum kümmern, die App zu bewerben und weitere Daten zu sammeln. Und dann kommt die Auswertung der gesamten Gruppe, aus der sich die Ärzte sehr viele neue Erkenntnisse erhoffen.“

Aus welcher Förderlinie wird das Projekt gefördert? In welchen größeren Förderkontext ist es einzuordnen?

„Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Diese neue Förderlinie setzt mit 15 Projekten genau so an, dass Bürger forscherisch eingebunden werden. Forschung ist keine Einbahnstraße, sondern es geht um einen engen Austausch zwischen der klassischen Wissenschaft und der neuen Bürgerforschung. Dies bezeichnet man als „Citizen Science“, das BMBF sieht hier ein großes Innovationspotenzial. Die zentrale Plattform heißt www.buergerschaffenwissen.de, hier findet man alle geförderten sowie viele weitere Projekte aus dem Bereich der Bürgerforschung.“

Was ist eigentlich eine Begleitforschung und was sind ihre Aufgaben im Projekt?

„So unterschiedlich alle Projekte sind, so haben sie doch ein Ziel: Die Einbindung der Bürger. Damit das auch einem strengen Qualitätsmaßstab standhält, werden alle 15 Projekte von der sog. Begleitforschung evaluiert. Wir stellen unsere Projekte z.B. auf gemeinsamen Kongressen vor und tauschen uns in Workshops aus. Dabei überprüft die Begleitforschung, ob wir wirklich bürgernah sind, also wie hoch der Grad der Beteiligung ist. Sammelt man nur Daten oder bestimmen die Bürgerinnen und Bürger auch wirklich die Forschungsfragen? Wir müssen uns auch gegen Stimmen wehren, die sagen, dass Bürgerforschung gar keine richtige Forschung sei.  Ich sehe das anders und finde, dass das gelebte Interdisziplinarität ist.“

Wie geht es nach Projektende weiter?

„Das Projekt soll auf jeden Fall weitergehen und wir werden versuchen eine Anschlussfinanzierung zu finden. Antragstellung ist ja für uns Kerngeschäft, aus dem wir unsere Projekte finanzieren.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Nützliche Links:

Citizenscience beim BMBF

Zum Projekt SelEe der Forschungsgruppe Analytische Informationssysteme

Zur App:

Die SelEe-App ist nun für iOS und Android verfügbar! Die App kann über die folgenden Links oder direkt über die Stores bezogen werden:
Android 
– iOS 

Anne-Christine Habbel

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