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„Sugar Daddys & Sugar Babes“: Hofer Soziologie-Studierende auf besonderem Terrain

Für die einen ist es schlicht Prostitution, für manche nur eine besondere Form der Beziehung zwischen Alt und Jung:  Im Studiengang Wirtschafts- und Organisationssoziologie sind die Verhältnisse zwischen älteren, meist wohlhabenden Männern und ihren begünstigten Partnerinnen und Partnern nun auch Forschungsgegenstand. Grund genug, mit Studiengangleiter Prof. Dr. Carsten Stark zu sprechen. Er ist neben seiner Tätigkeit an der Hochschule Hof auch Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Soziologinnen und Soziologen.

Quelle: adobestock.com;

Herr Prof. Stark, was – ganz genau – ist eigentlich ein „Sugar Daddy“? Gibt es eine allgemeingültige Definition?

„Nein, die gibt es nicht. Für solche sozialen Phänomene gibt es keine allgemein gültigen Definitionen, sondern eher relativ treffsichere Beschreibungen: Im Prinzip sind damit Männer gemeint, die eine längerfristige sexuelle Beziehung mit einer erheblich jüngeren Person („Sugar Babe“) eingehen und dafür dieser Person eine Art Taschengeld zahlen.  Der Altersunterschied ist dabei in der Regel so groß, dass die betroffenen Herren die Väter der Sexualpartnerinnen und Sexualpartner sein könnten – daher „Sugar Daddy“. Das Taschengeld bewegt sich monatlich zwischen 500 und 1000 Euro, in seltenen Fällen auch mehr. Hinzu kommen auf der „Kostenseite“ für den Daddy noch Spesen wie Hotelübernachtungen, Reisekosten, Restaurantrechnungen, usw…

Interessanterweise sind wir bei unseren Recherchen bisher noch nicht auf eine „Sugar Mother“ gestoßen. Währenddessen die Sugar Babes buchstäblich allen Geschlechtern angehören. Wir können also getrost sagen, dass hier alte Männer nach so ziemlich allem suchen, mit dem sie gerne regelmäßig Sex haben wollen.“

Nun, das ist sicherlich auch in der Soziologie kein so ganz alltägliches Forschungsfeld. Wie sind Sie gerade auf dieses Thema gestoßen und wie haben Ihre Studierenden reagiert?

„Da muss ich etwas ausholen: Das Schöne an der Soziologie ist, dass es mehr Themen als Soziologinnen und Soziologen gibt. Man merkt das aber in der Forschungslandschaft so wenig, weil die universitären Kolleginnen und Kollegen wie Irre hinter Drittmitteln herjagen müssen und dadurch ein Mainstream erzeugt wird, aus dem immer wieder die gleichen „Ergebnisse“ herausgeschustert werden.

Prof. Dr. Carsten Stark; Bild: privat;

Das ist hier ja zum Glück nicht so, so dass ich an der Hochschule (noch) im Prinzip die Freiheiten in der Forschung genieße, die an den Universitäten nur noch als ideologische Schablone zur Generierung von Drittmitteln Verwendung finden. Dadurch kann ich an Themen arbeiten, die an den Universitäten nur sehr unzureichend oder gar nicht erforscht werden. Und da bin ich auf vielen Feldern unterwegs…“

Das ist erfreulich und spannend zugleich…

„Ja. Für das Internet und seine Auswirkungen auf Interaktion und Kommunikation interessiere ich mich, seitdem es dieses Kommunikationsmedium gibt. Aktuell habe ich ein Buch über den Zusammenhang von sozialen Medien und gesellschaftlichen Differenzierungserscheinungen geschrieben („Nations Divided“, 2019) und zusammen mit Kollegen Wagener ein Buch über die Auswirkungen der Digitalisierung von Politik auf die Demokratie herausgegeben („Die Digitalisierung des Politischen“, 2023). Das Thema der digitalen Kommunikation und der sozialen Medien auf Bereiche wie Freundschaft, Sexualität und Prostitution zu beziehen, liegt da auf der Hand. Tatsächlich kommt das letzte Thema auch aus meiner Arbeit für die Kriminalpolizei in NRW.

Meine Studierenden nehmen solche Themen begeistert auf und mir macht es unendlich Freude mit ihnen an solchen Themen zu arbeiten. Ich fahre hier in Hof einen Ansatz der Soziologie-Lehre, der aus der Chicago School stammt.

Meine Studierenden sollen nicht stupiden Unsinn über die Gesellschaft auswendig lernen und philosophische Abhandlungen schreiben. Sie sollen Gesellschaft verstehen, indem sie sich dem aussetzen, hingehen, mit den Leuten reden und versuchen auch theoretisch zu erfassen, was sie da gerade beobachten.

Prof. Dr. Carsten Stark

Den Hofer Studierenden begegnet man daher nicht nur auf Internetplattformen von Sugar Daddys, sondern auch am Bahnhof im Gespräch mit Obdachlosen, im Fitnessstudio bei der Beobachtung von körperkultigen Kunden, im Theater bei der Beobachtung des Sozialverhaltens in den Pausen, als Besucher des „Königreichs Deutschland“ oder im Gespräch mit den Zeugen Jehovas.“

Was ist Ihr Forschungsansatz im konkreten Bezug auf die Sugar Daddys – was hat sie besonders an dem Thema interessiert?

„Soziologisch interessant ist bei den Sugar Daddys die Ökonomisierung von Sex – die es  wohl schon immer gegeben hat – in Verbindung mit den vergleichsweise neuen Kommunikationsmöglichkeiten von sozialen Medien. Die Motivations- und Legitimationsstruktur ist dabei – wie zu erwarten – sehr ambivalent.

Sie wollen Sex kaufen und gleichzeitig dadurch legitimieren, dass es nicht um Sex, sondern um eine qualitativ hochwertige Beziehung geht. Diese Ambivalenz führt in den Deutungsmustern der Sugar Daddys zu sinnlogischen Brüchen, die einem Soziologen das Herz erfreuen – weil man durch die Analyse tief in die Seele dieser Akteure schauen kann.

Mein Forschungsansatz ist dabei ein hermeneutischer: Ich versuche den latenten Sinn der sozialen Struktur zu erkennen.“

Besonders schwierig erscheint es mir, hier qualitative Befragungen durchzuführen. Wie konnten Sie die Menschen erreichen, die sich selbst als „Sugar Daddy“ bezeichnen?

„Tatsächlich ist das sogar ziemlich einfach. Auch hier helfen uns die sozialen Medien. Man gibt sich als Sugar Daddy oder als Sugar Babe aus und fängt an miteinander zu chatten. An irgendeinem Punkt outet man sich dann als Student oder Studentin oder eben als Forschender und führt ein offenes Gespräch. Es ist unfassbar, aber die meisten Menschen fassen während eines anonymen Chats Vertrauen in das Gegenüber und erzählen dann Dinge, die sie wahrscheinlich ihren Freunden im „Real life“ nicht anvertrauen würden. Warum das so ist? Keine Ahnung – das ist noch mal ein neues Forschungsthema!

Quelle: adobestock.com;

Die Erkenntnisse daraus sind wahrscheinlich sehr umfangreich. Kann man in wenigen Sätzen die Resultate zusammenfassen?

„Da gibt es viele Punkte, hier nur die wichtigsten:

  • Die technischen Möglichkeiten führen zu einer Zunahme des gesellschaftlichen Phänomens insgesamt. Stellen Sie sich die Anbahnung einer solchen Beziehung ohne das Internet vor. Das ist schwierig. Aber jetzt kann man auf Foren geradezu in Katalogen Bilder anschauen und direkt mit dem Chatten anfangen.
  • Diese Sichtbarkeit des Phänomens führt auch zu einer gesteigerten Akzeptanz, da ja die potenziellen Sugar Babes andere Sugar Babes sehen und eine solche Beziehung irgendwann für „normal“ halten.
  • Auch eine Perversion von Persönlichkeit und Identität ist mit dieser Art der Prostitution verbunden, denn hier werden Persönlichkeitseigenschaften und Qualifikationen in Verbindung mit sexuellen Leistungen verkauft. So legen Sugar Daddys neben dem Sex auch oft Wert auf gutes Benehmen, Interesse an Kultur, intellektuelle Gespräche über die Tagespolitik, das Spielen von Musikinstrumenten usw. Das Sugar Babe verkauft nicht nur ihren oder seinen Körper, sondern wird auch für seine oder ihre Identität bezahlt. Das ist moderne, digitale Sklaverei, wenn man so will.
  • Das Ganze hat aber auch eine kriminologische Seite: So werden in der Regel erste Treffen vereinbart, bei dem schon ausprobiert wird, ob die Chemie stimmt. Die Bereitschaft zum Probesex ist dabei eine sehr gefährliche Sache, denn auf beiden Seiten können kriminelle Parteien unterwegs sein – also Menschen, die Sugar Babes in die Zwangsprostitution und Drogenabhängigkeit führen und Sugar Daddys, auf die eine Schlägerbande wartet, die es auf die Geldbörse abgesehen hat. Zwar haben einige Plattformen mit Identitätsüberprüfungen reagiert, aber die kriminelle Energie ist hier größer als die Anstrengungen sie zu verhindern.
  • Auch die Sozialstruktur der Sugar Babes fällt auf. So sind Studierende deutlich überrepräsentiert. Scheinbar ist im Studierendenmilieu das Phänomen schon als eine Art Studierendenjob etabliert.”

Wie geht es nun weiter, werden Sie das Thema noch weiterverfolgen?

„Ich denke schon, der nächste Schritt wird sein, sich die Legitimationsstrukturen der Sugar Babes genauer anzusehen. Vielleicht werde ich auch meine alten Kontakte zur Polizei reaktivieren und über ein Projekt zur Kriminalitätsprävention bei SD/SB-Foren im Internet nachdenken.“

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Mehr zum Thema hier:

Rainer Krauß

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