Die Begegnung mit anderen Kulturen hat nicht nur aus beruflicher Perspektive eine hohe Bedeutung, sie sorgt auch für neue Erfahrungen und fördert die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Damit eine Begegnung für beide Seiten zu einer positiven Erfahrung werden kann, hilft die Auseinandersetzung mit der jeweils anderen Kultur. An der Hochschule Hof bietet u.a. die Fakultät Ingenieurwissenschaften dazu das Modul „Interkulturelle Kompetenz“ an, welches anteilig vom Career Service und durch Lehrende der Fakultät durchgeführt wird.
In diesen Kursen lernen die Studierenden neben Fakten zu verschiedenen Ländern in erster Linie Grundlagen wie z.B. ländertypische Denk- und Verhaltensweisen, Essenskulturen oder unterschiedliche Kommunikationsformen kennen. Dieses Basiswissen ist ein erster und wichtiger Schritt, um andere Kulturen kennen- und verstehen zu lernen. Aber erst die Begegnung mit Menschen aus einer anderen Kultur macht bestehende Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten sichtbar. Die persönliche Begegnung mit „dem Anderen“ vermittelt die Vielfalt, die Menschen in sich tragen, und transformiert Vorurteile zu Erfahrungen und ermöglicht damit auch die Entwicklung eines Verständnisses für eine andere Kultur.
Die Modulteilnehmer aus dem Studiengang Umweltingenieurwesen bekamen im Sommersemester 2022 die Gelegenheit der persönlichen Begegnung mit Menschen unterschiedlicher Herkunft. Um ihre bislang theoretisch erworbenen Kenntnisse zu vertiefen, führten sie mit fünf Personen aus China, Kolumbien, Kroatien, USA/Schottland und der Ukraine, die seit mehreren Jahren in Deutschland leben und arbeiten, ausführliche Interviews. Dabei erfuhren sie nicht nur viel über das jeweilige Land und deren Menschen, sondern es begegneten ihnen Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf Deutschland und auf die Bedeutung von interkultureller Kompetenz. Aus Gründen des Persönlichkeitsrechts können die interviewten Personen namentlich nicht genannt werden.
Aus einer chinesischen Großstadt in die deutsche Provinz
Anna-Lena Seit, Tina Schörner und Mehmet Yücel interviewten eine 33-jährige Frau aus China. Sie hat Bauingenieurwesen und Umwelttechnik studiert und arbeitet seit einigen Jahren als Produkt- und Projektingenieurin bei einem mittelständischen Unternehmen der Wasserwirtschaft.
In Vorbereitung auf das Interview hatten wir schon verschiedene kulturelle Eigenschaften Chinas wie z.B. die besondere Schrift, seine historischen Kunstschätze oder den besonderen Gemeinsinn und ein starkes Harmoniestreben kennengelernt. Durch das Interview konnten wir unser Wissen über diese Kultur nochmal erweitern und uns für einen zukünftigen Besuch in China bestens vorbereiten.“
Anna-Lena Seit, Tina Schörner, Mehmet Yücel
Als Beispiel für die Vielfältigkeit der chinesischen Kultur beschrieb die Interviewte den abwechslungsreichen, farbenfrohen Kleidungsstil, während sie feststellte, dass in Deutschland eher gedeckte Farben bevorzugt werden. Als weiterer Unterschied wurde die direkte Rede in Deutschland genannt. Chinesen streben eher nach Harmonie und haben aufgrund dessen eine sehr freundliche und indirekte Ausdrucksweise. Auch die deutsche Kultur ist für die Interviewte interessant wie beispielsweise die weltweit bekannte deutsche Braukultur.
Ich versuche überall ein regionales Bier zu probieren!”
Chinesische Studentin
Der Eindruck des Interviews motivierte die Gruppenteilnehmer zu der Empfehlung, China vor allem wegen der kulturellen Unterschiede zwischen China und Deutschland einmal zu besuchen. Ihr wichtigster Tipp für einen Chinabesuch lautet: „Niemals die Essstäbchen senkrecht in das Essen stecken. Dies bedeutet, dass das Essen nicht schmeckt und dies ist ein absolutes No-Go!“
Von Kolumbien über Stuttgart nach Hof
Oguzhen Günes, Fabian Urban und Paul Schratt interviewten eine junge Kolumbianerin, 28 Jahre alt und aus dem Nordosten Kolumbiens stammend. Sie hat Umweltingenieurwesen studiert und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer bayrischen Hochschule.
„Während unserer Recherche haben wir festgestellt, dass die kolumbianische Bevölkerung aufgrund ihrer Geschichte eine sehr hohe Diversität aufweist. Grundsätzlich gibt es drei ethnische Ursprünge: die Gruppe der indigenen Völker, die europäischen, zumeist aus Spanien stammenden Kolonisten und Sklaven afrikanischer Herkunft. Deshalb waren wir schon sehr auf das Gespräch mit unserer kolumbianischen Interviewpartnerin gespannt. Zu unserem Interviewtermin kam sie pünktlich, obwohl sie selbst sagt, dass Kolumbianer meist unpünktlich sind, was aber in Kolumbien nicht als negativ angesehen wird. Neben vielen kulturellen Unterschieden, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Kolumbien, konnten wir viel über sie, ihre Herkunft und interkulturelle Kommunikation erfahren.“
Oguzhen Günes, Fabian Urban, Paul Schratt
Die erste Zeit in Deutschland war für die Interviewte nicht einfach, da sie ohne jegliche Sprachkenntnisse nach Deutschland kam. Diese Hürde konnte sie aber durch ihre offene und freundliche Art leicht überwinden und lernte nach und nach die deutsche Sprache und den Umgang mit der deutschen Bürokratie kennen. Das Interview brachte drei wesentliche Erkenntnisse hervor:
– In der Kommunikation, insbesondere in der interkulturellen Kommunikation ist ein offener und respektvoller Umgang mit dem Gegenüber essenziell.
– Eine gewisse Risikobereitschaft ist von großem Vorteil, über seinen Schatten zu springen und offen zu kommunizieren.
– Die englische Sprache bietet eine gute Möglichkeit, interkulturell zu kommunizieren. Für eine noch bessere Kommunikation ist es aber von Vorteil, die jeweilige Landessprache zu erlernen.
„Obwohl ich aus Kolumbien komme, finde ich das kältere Wetter in Deutschland sehr angenehm, vor allem den Winter – Hitze und Sonne hatte ich in Kolumbien genug!“
Wissenschaftliche Mitarbeiterin aus Kolumbien
USA, Schottland oder Deutschland? Interkulturelle Vielfalt in einer Person vereint
Philipp Tissarek, Daniel Schmidt und Lea-Carina Schmidt interviewten einen echten Weltenbummler: in den USA geborenen, aufgewachsen in Österreich, Frankreich und Schottland, Staatsbürgerschaft Deutsch/Britisch. Der 42-jährige ist Manager für International Business Development bei einem Technologieunternehmen. Er lebte bereits in unterschiedlichsten Ländern dieser Welt und spricht 5 Sprachen fließend.
“Wir waren sehr beeindruckt von seinem Lebensweg & Erfahrungen.”
Philipp Tissarek, Daniel Schmidt, Lea-Carina Schmidt
Der Einstieg in Deutschland war für ihn relativ einfach aufgrund der in der Kindheit erhaltenen Inputs durch die Mutter. Dies war allerdings nicht überall der Fall. Er berichtete, dass der Schritt nach China deutlich härter war, insbesondere durch Sprachbarrieren und einem unterschiedlichen sozialen Verhalten der Bevölkerung im Vergleich zu seiner eigenen westlichen Sozialisierung. Durch seine Erfahrungen hat er gelernt, wie wichtig Offenheit für andere Kulturen in der Heimat sowie in der Fremde ist. Besonderes Wert legt er dabei auf Kommunikation, Anpassung & Respekt.
“Where I lay my head is home!”
Der Interviewte zitierte Metallica als Definition für sein Heimatgefühl
Bei der Kommunikation mit anderen Kulturen ist Verständlichkeit & beiderseitiges Entgegenkommen essenziell. Der Interviewte hat durch seinen interkulturellen Austausch gelernt, dass Vorurteile und Klischees in der Regel nicht zutreffend sind.
Durch viele internationale Erfahrungen und seinen deutsch-schottische Wurzeln fühlt er sich inzwischen als Europäer. Zu dieser Erkenntnis kam es insbesondere durch den Brexit sowie globale Probleme wie den Klimawandel, die seiner Meinung nach nur durch internationale Einheit und Zusammenarbeit gelöst werden können. Besonders spricht er sich gegen die Spaltung der Gesellschaft und stattdessen für mehr Gemeinschaft aus.
Für ein sicheres Leben aus der Ukraine nach Bayern
Sarah Schreiber, Celine Schaa und Selime Sayar interviewten eine 49-jährige promovierte Wissenschaftlerin aus der Ukraine, die seit 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer bayrischen Hochschule arbeitet.
„Oft abergläubisch, immer gastfreundlich, materialistisch und eher indirekt, so wird der ukrainische Stereotyp beschrieben. Aber ist diese Beschreibung wirklich zutreffend? Zusammen mit ihr haben wir folgende Erkenntnisse gewinnen können: zum einen bestätigte sie uns, dass diese Merkmale in der Tat Eigenschaften sind, die bei vielen Ukrainer:innen zu finden sind. Zum anderen zeigte sie auf, welchen Einfluss ihr Aufenthalt in Deutschland auf ihre Verhaltensweisen und Ansichten hat.“
Sarah Schreiber, Celine Schaa, Selime Sayar
Historisch gesehen ist der Aberglaube ein Teil des Verhaltens der Ukrainerinnen und Ukrainier. Sehr oft unbewusst und gewohnheitsgemäß. Ehrgeiz und Fleiß sind weitere markante Eigenschaften von Ukrainer:innen, welche aus der finanziellen Unsicherheit und der hohen Inflationsrate in der Ukraine resultieren. Es wird deshalb mehr Wert auf den wirtschaftlichen/äußeren Erfolg der Person gelegt und Persönliches rückt im Gespräch etwas in den Hintergrund. Auch der hohe Stellenwert von Materiellem lässt sich darauf zurückführen.
Die Menschen sind generell sehr gastfreundlich und freundlich, aber manchmal misstrauisch und vorsichtig gegenüber fremden Menschen. Zudem ist es ihrer Meinung nach unerlässlich, sowohl den Älteren den notwendigen Respekt zu erweisen als auch generell allen fremden Kulturen auf Augenhöhe zu begegnen. Sich an die Verhaltensweisen der Mensch in anderen Ländern anzupassen, sollte als Gast selbstverständlich sein und setzt auch einen gewissen Respekt vor der Kultur voraus.
„In Deutschland ist die Person selbst das Wichtigste. In der Ukraine stehen Dinge an erster Stelle. Das bedeutet, dass der Erfolg der Person, ihr Erfolg im Beruf und wie weit sie es bringen kann, Priorität hat. Seit ich hier lebe und arbeite ist mir auch dank meiner neuen Kolleg:innen die Bedeutung der Persönlichkeit wichtiger geworden als materieller Besitz.“
Ukrainische Wissenschaftlerin
Als Kind in Deutschland geboren und gelebt, nun in Kroatien zuhause
Nils Winkler, Christopher Funk und Simon Fraas interviewten einen in Deutschland geborenen Kroaten, 46 Jahre alt, ausgebildet in Maschinen- und Elektrotechnik und tätig bei einem kommunalen Betreiber der Abwasserentsorgung.
Kroatien gilt als Land der tausend Inseln, von Cevapcici und für gutes Wetter – das sind die ersten Impressionen, die einem in den Kopf schießen, wenn man an Kroatien denkt.
„In unserem Interview konnten wir einen tieferen Einblick in die kroatische Kultur und deren Facetten bekommen. Bei dem Gespräch ging unter Interviewpartner vor allem auf die kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Kroaten ein, welche er aus der Sicht eines in Deutschland geborenen Kroaten besonders gut beschreiben kann.“
Nils Winkler, Christopher Funk, Simon Fraas
Größtenteils benannte der Interviewte Unterschiede im Berufsleben: in Kroatien ist es üblich, den Beruf im Verlauf des Arbeitslebens mehrfach und branchenübergreifend zu wechseln, wohingegen die Deutschen normalerweise im gleichen Berufsfeld tätig bleiben. Des Weiteren kam er auf das soziale Leben in Kroatien zu sprechen. Dabei stellte sich heraus, dass die Kroaten deutlich geselliger und flexibler im Umgang mit Freunden und Familie sind. Beispielsweise trifft man sich regelmäßig mit Freunden im Café.
Die Welt ist ein kleines Dorf geworden.”
Kroatischer Interviewte
Trotz der aufgeführten kulturellen Unterschiede ist er zu dem Fazit gekommen, dass durch die Globalisierung und unserer vernetzten Gesellschaft die kulturellen Grenzen nach und nach miteinander verschmelzen. Dieses Phänomen ist verstärkt bei der jüngeren Generation vorzufinden, wohingegen die ältere Generation durch die historischen Erfahrungen einen eher konservativ geprägten Lebensstil führt.
Einheitliche Erkenntnisse aus kultureller Vielfalt?
Erst die Theorie, dann die Praxis im Kontakt mit interessanten Menschen. Was sind die Erkenntnisse der Modulteilnehmer? Darüber wurde viel und intensiv diskutiert. Die nachfolgende Tabelle zeigt die wichtigsten Erkenntnisse aus einem spannenden Modul mit enormen Engagement der Teilnehmer.
Gemeinsamkeiten bei den Interviewten:
- Sich vor Ort fremden Kulturen anzupassen ist wichtig, insbesondere im Geschäftsumfeld.
- Kulturelle Erfahrungen werden als nicht selbstverständlich angesehen – die Interviewpartner empfehlen, Rücksicht auf andere zu nehmen.
- Die Geschichte eines Landes zu kennen ist wichtig zum Verständnis der anderen Kultur.
- In allen Ländern kann eine unterschiedliche kulturelle Wahrnehmung zwischen den Generationen beobachtet werden. Alle Interviewten betonten den Respekt vor anderen Kulturen.
- Alle Interviewten sehen ausreichende Kenntnisse in der Landessprache als sehr wichtig an, wenn man in einem anderen Land leben will.
- Alle Interviewten betonten die Schwierigkeit, die deutsche Sprache zu lernen.
Unterschiede bei den Interviewten:
- Nationen haben unterschiedliche Wertvorstellungen: In der Ukraine wird Materielles wichtiger eingestuft als in Deutschland. In Kroatien besteht ein flexibleres Verhältnis zum Beruf bzw. zur Berufswahl. Laut Definition eines glücklichen Lebens in Asien ist die Gemeinschaft wichtiger als das Individuum.
- In Deutschland wird eine sehr direkte Kommunikation bevorzugt, in Kolumbien, Ukraine, China und Kroatien vollzieht sich diese eher indirekt.
- In Deutschland bestehen bessere Arbeitsbedingungen und Karrierechancen als in den meisten Ländern.
- In Deutschland ist eine stärkere Trennung von Arbeit und Privatleben zu beobachten, dies ist in den Ländern der Interviewten nicht so stark der Fall. Entsprechend kann sich der persönliche Umgang miteinander unterscheiden.
- Die deutlichsten Unterschiede waren in der Beschreibung der verschiedenen Essenskulturen festzustellen. Am Beispiel der Ukraine wurde sichtbar, dass Aberglaube in anderen Kulturen einen anderen Stellenwert hat als in Deutschland
- Unterschiedliche Themen in Gesprächen auch Smalltalk
- Unterschiedliche Freizeitkulturen
- Unterschiedliche Statussymbole
- Der Umgang mit Pünktlichkeit ist nicht in allen Ländern gleich, es bestehen wesentliche Unterschiede zu Deutschland.
Auch wenn sich einige der Aussagen der interviewten Personen in der umfangreichen Literatur zur Interkulturellen Kompetenz wiederfinden, betonten die Modulteilnehmer:innen den Wert des persönlichen Gespräches. Es macht doch einen erheblichen Unterschied, ob Informationen zu anderen Kulturen nachgelesen werden oder unterlegt sind mit persönlichen Erfahrungen und Perspektiven.
Was nehmen die Modulteilnehmer:innen als wichtigste Aspekte mit in Sachen Interkulturelle Kompetenz? Hier die Top 5:
- Offenheit für die andere Kultur
- Bereitschaft und ein gewisses Risiko, das Andere kennenzulernen
- Respekt und Wertschätzung
- Anpassung an fremde Kulturen
- Sprache lernen, um sprachliche Barrieren zu überwinden
Im gemeinsamen Dialog mit Personen aus einem anderen Kulturkreis offenbaren sich viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Dabei spielt es eine bedeutende Rolle, ob die sich begegnenden Menschen bereits einen gemeinsamen Kontext besitzen, beispielsweise aus einer gemeinsamen Berufsdisziplin entstammen, ein Hobby miteinander teilen oder spezielle Werte. In der Begegnung mit fünf höchst unterschiedlichen Menschen aus sehr verschiedenen Kulturen erlebten die Modulteilnehmer:innen Interkulturelle Kompetenz am eigenen Leib und hautnah. Die persönliche Begegnung mit Menschen macht andere Kulturen erst erlebbar und damit verständlich.