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Energiekrise: Bleiben Wohnungen und Hochschule im bevorstehenden Winter kalt?

Der Mangel an Gas und die rasant steigenden Energiepreise sind in aller Munde. Unter sich schnell verändernde Fakten mischen sich in der öffentlichen Diskussion jede Menge Emotionen. Doch wie schätzt man an der Hochschule Hof die aktuelle Situation ein und welche Maßnahmen werden hier ergriffen? Darüber hat „Campuls-digital“ mit Prof. Dr. Tobias Plessing und Dr. Andy Gradel vom Institut für Wasser- und Energiemanagement (iwe) sowie Josef Martin und Peter Kemnitzer aus der Hochschulverwaltung gesprochen.

von links nach rechts: Die Interviewpartner Prof. Dr. Tobias Plessing, Dr. Andy Gradel (oben), Peter Kemnitzer und Josef Martin; Bild: Hochschule Hof

Meine Herren, was denken Sie: Werden im bevorstehenden Winter Privatwohnungen kalt bleiben oder muss die Wirtschaft die Produktion drosseln – wie ernst ist die Lage?

Prof. Dr. Tobias Plessing: „Ich denke, aus rein wirtschaftlichen Gründen werden sich viele Menschen einschränken müssen. Das heißt, dass in Privathäusern gewisse, wenig genutzte, Räume oder Schlafräume wohl nicht geheizt werden. Im Sinne der Energieeffizienz ist dies durchaus ein guter Impuls. Bestimmte Industriezweige werden sicherlich Maßnahmen ergreifen, damit durch die hohen Energiekosten keine wirtschaftliche Schieflage entsteht. Eine Drosselung der Produktion ist, wenn überhaupt, nur in der Stahl-, Glas oder Keramikindustrie zu erwarten. Für diese energieintensiven Industrien würde dann jedoch sicherlich ein staatliches Hilfsprogramm greifen bzw. aufgelegt werden.“

Dr. Andy Gradel: „Wenn ein Großteil von Bevölkerung und Industrie auf ein vertretbares Maß an Einsparung achtet, dann denke ich nicht, dass es zu diesen massiven Einschnitten kommt. Und aus meiner Sicht ist davon auszugehen, dass viele sparen – sei es aus ideologischen oder aus konkreten finanziellen Gründen.“

Josef Martin: „Kalt ist natürlich relativ. Dass jemand die Heizung ganz ausdrehen muss, wird es wohl eher selten geben, aber wenn die Gaspreise weiter um hohe Faktoren steigen, werden viele nicht um eine merkliche „Drosselung“ herumkommen. Wer alternative Heizmöglichkeiten hat, wir sie nutzen. Im städtischen Bereich mit Mehrfachwohnungen ist es von der Infrastruktur her aber natürlich schwierig einen Ofen einzustellen oder Brennvorräte einzulagern“

Da sind wir schon bei der Frage nach den Alternativen: Was kann denn über alternative Energiequellen kompensiert werden?

Prof. Dr. Tobias Plessing: „Derart kurzfristig können erneuerbare Energien nicht die wegfallenden russischen Gaslieferungen kompensieren. Wir haben aber im Strommarkt schon fast einen 50-prozentigen Anteil an Ökostrom erreicht und befinden uns hier auf einem guten Weg. Wir können nur hoffen, dass diesen Winter der Wind kräftig weht und oft die Sonne scheint!“

Dr. Andy Gradel: „Offen gesagt: Im notwendigen Zeitrahmen kann kaum etwas kompensiert werden. Neue Anlagen stehen nicht in zwei Monaten, schon gar nicht nach deutschem Genehmigungsrecht. Verlängerte Stromproduktion aus Kohle und Atomkraft kann aber zumindest mit Hilfe von Elektroheizungen Gas einsparen, falls es wirklich knapp wird.“

Josef Martin: „So ist es: Zentrale Versorgung über Fernwärme – z. B. aus Hackschnitzeln oder wie in Frankreich über „Kleinreaktoren“, die Prozesswärme an die Industrie liefern – benötigen durch Genehmigung, Bau und Rohrnetz einen größeren zeitlichen Vorlauf bzw. sind in Deutschland gar nicht gewollt. Ich gehe davon aus, dass man mindestens ein Jahrzehnt benötigt um alternative Energien auf ein Niveau auszubauen, um das zu leisten. Ein Lösungsbeitrag könnte die Überproduktion sein: Für sie sind Speichertechnologien notwendig. Ein Teil dieser Speichertechnologien ist in der Entwicklung, ein Teil wäre anwendungsreif und könnte eingeführt werden.”

Wo liegen denn die Probleme?

Josef Martin: „Ich denke, manchmal stehen wir uns selbst im Weg: Es gibt z.B. Pumpspeicherwerke, welche die Überproduktion lieber in Nachbarländer verkaufen, weil man dort klug genug war und keine Durchleitungsgebühren eingeführt hat. Das führt zum abstrusen Vorgang, dass Deutschland bei eigenen Versorgungslücken dann wiederum teuer im Ausland einkaufen muss. Ein anderes Beispiel aus der Praxis: Wenn man Photovoltaikanlagen bestimmter Größe mit zugelassenen und geprüften Komponenten vom eingetragenen Fachbetrieb einbauen lässt, braucht man seit ca. 4 Jahren zusätzlich eine Zertifizierung – aus meiner Sicht reine Bürokratie.  Hat eine Photovoltaikanlage ihre Förderperiode dann hinter sich, wird sie in aller Regel abgerissen, obwohl sie noch knapp 100% an Leistung bringt und locker die doppelte Laufzeit erbringen würde. Es wird nämlich ein Strompreis gezahlt, der sich für den Betreiber nicht rechnet um damit Grundstückspacht, Steuern, usw. abzugelten. Was aber passiert mit Tonnen von Elektroschrott, Metallschrott und Stahlbeton, die energiereich hergestellt wurden? Sie landen auf der Müllhalde. Können wir uns sowas leisten?“

Die Politik sucht natürlich nach zeitnahen Lösungen: Wie kann mittel- und langfristig Gas aus Russland ersetzt werden?

Prof. Dr. Tobias Plessing: „Der Ersatz von russischem Gas durch Flüssiggasimporte ist, aus meiner Sicht, nur eine kurzfristige (Überbrückungs-)Maßnahme. Wir müssen in Deutschland langfristig und vor allem schnell weg von fossilen Energieträgern und auf Gas aus Biomasse und Wasserstoff umsteigen.“

Dr. Andy Gradel: „Das kann ich unterstreichen. Eine Möglichkeit sind sicherlich kurzfristige Flüssiggasimporte und alternative Lieferanten wie Norwegen. Längerfristig kann auch der inländische Ausbau von Biogas- und Biomassevergasungsanlagen helfen. Hier und da könnte auch Elektrolysewasserstoff eine Lösung sein, wobei der eigentlich zu wertvoll zum Verbrennen ist. Auch über Importwasserstoff über Ammoniak oder LOHC – flüssige organische Wasserstoffträger – sollte man nachdenken.“

Josef Martin: „Man kann kurz- und mittelfristig durch Flüssigerdgas oder womöglich durch Kohle ersetzen, teilweise durch Gas aus Pipelines aus anderen Ländern. Langfristig denkbar wäre der Bau einer Pipeline von Spanien nach Mitteleuropa. Spanien und Portugal haben immerhin transkontinentale Pipelines aus Öl- und Gasgebieten Nordafrikas und dem Nahen Osten. Langfristig sind erneuerbare Energien aber das große Thema.“

Der Hochschulpräsident hat ja klargestellt: Eine Rückkehr zur Onlinelehre wird es aus Energiegründen im Wintersemester nicht geben. Aber wie stellt sich die Hochschule Hof dann ganz konkret auf die Situation ein?

Blick auf das Gebäude B und den Alfons-Goppel-Platz am Campus Hof; Bild: Hochschule Hof

Prof. Dr. Tobias Plessing: „In einem Arbeitskreis aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Forschung und Verwaltung werden konkrete Ideen und Ansätze erarbeitet, wie jeder Hochschulangehörige einen Beitrag leisten kann. Darüber hinaus verfolgen wir das langfristige Ziel, die Hochschule energieautark zu machen!”

Peter Kemnitzer: „Seitens des Gebäudemanagements stehen wir in ständiger Verbindung mit unserem „Lieferanten“ – der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HfÖD). Die Versorgung der Hochschule mit Wärme ist für diesen Winter sichergestellt, da neben Erdgas als primärem Energieträger auch noch Heizöl zur Verfügung steht. Hier wurde der Tank bis zum Herbst gefüllt. Diese gute Ausgangssituation entbindet uns aber nicht, alle Möglichkeiten zur Energieeinsparung zu nutzen, die wir haben. Wie schon von Prof. Plessing erläutert, wurde in Rücksprache mit dem Präsidenten ein Arbeitskreis zum Thema Energie gebildet, der sich intensiv mit dem Thema befasst. Dabei geht es nicht nur um kurzfristige Maßnahmen zur Einsparung von Energie, sondern auch generell um die zukünftige mittelfristige Energieversorgung der gesamten Hochschule. Dabei soll der Eigenerzeugung von Energie deutlich mehr Bedeutung zukommen. Unser Forschungsinstitut iwe wird dabei eine herausragende Rolle einnehmen.“

Welchen Stellenwert hat das Thema Energiesparen derzeit an unserer Einrichtung?

Prof. Dr. Tobias Plessing: „Bisher hatte das Thema an der Hochschule nicht die höchste Priorität. Es gibt aber bereits zahlreiche Ideen und Ansätze, auf denen wir aufbauen können. Und die jetzige Situation, mit der wir alle konfrontiert sind, wird einiges Neues anstoßen und in Bewegung bringen!“

Peter Kemnitzer: „Aufgrund verschiedener Voraussetzungen an der Hochschule, können wir momentan aus meiner Sicht nur bedingt Einfluss auf das Thema Energiesparen nehmen. Durch unsere 24h-Öffnung können wir z.B. nicht am Freitagnachmittag alles herunterfahren und am Montagmorgen wieder alles starten. Die Hochschule hat auch bei abgesenkten Temperaturen immer noch einen mäßigen Verbrauch. Die notwendige Anpassung der Steuer- und Regelungstechnik an die neue Situation kostet nicht nur Geld, sondern braucht auch Zeit für Planung und Ausführung.“

Dr. Andy Gradel: „Ich denke, es sind viele sinnvolle Maßnahmen eingeleitet. Das Institut für Wasser- und Energiemanagement könnte aber durchaus ein Energiekonzept für die ganze Hochschule entwerfen.“

Muss sich generell jemand Sorgen machen, im Wintersemester in kalten Räumen lernen, lehren und arbeiten zu müssen?

Prof. Dr. Tobias Plessing: „Meiner Meinung nach muss sich niemand darüber Sorgen machen, im Wintersemester frierend studieren oder arbeiten zu müssen, da wir – wie schon weiter oben erwähnt – im Heizsystem der Hochschule auch auf Heizöl zurückgreifen können.“

Studierende im REHAU-Audimax B 023 am Campus Hof; Bild: Hochschule Hof

Josef Martin: „Hundertprozentig ausschließen kann man in der jetzigen Situation sicher nichts: Die Gasversorger bestätigen aktuell ja selbst, dass sie sich völlig im Unklaren sind, was auf uns zukommt. Aber wir bleiben optimistisch und wollen von einem solchen Fall nicht ausgehen.“

Wie sehen Sie in dem Zusammenhang die laufende Forschung am iwe?

Prof. Dr. Tobias Plessing: Unsere Forschung im Energiebereich am iwe orientiert sich seit Jahren an den Themen Energieeffizienz und die Umstellung einer fossilen Energiewirtschaft auf erneuerbare Energieträger. Mit dem neuen Institutsgebäude, dessen Richtfest wir im Juli feiern konnten, werden wir viele weitere Möglichkeiten bekommen die Hochschule bei diesem Thema voranzubringen.“

Dr. Andy Gradel: Neben der Entwicklung von anwendungsnahen Technologien setzen wir uns am iwe auch stark öffentlichkeitswirksam für die Beschleunigung der Energiewende ein, z.B. in der Nahwärme.
Das neue Zentrum für Wasser- und Energiemanagement (ZWE), das sich gerade im Bau befindet, wird ein Forschungs-Leuchtturm hinsichtlich der autarken Versorgung des eigenen Gebäudes und Betriebes. Die Planung der Anlage ist weitgehend erledigt – derzeit wird bereits vorab im Rahmen einer Promotion an der Energie-Regelung gearbeitet. Autarke Wärmekonzepte mit Großwärmespeicher sind Schwerpunkte am iwe. Wir arbeiten zudem an den genannten Themen wie Biomassevergasung zur Eigenerzeugung von Heiz- und Prozessgas sowie Strom aus Biomasse und unterschiedlichen Biowasserstofftechnologien.”

Im Juli 2022 feierte die Hochschule Richtfest am Zentrum für Wasser- und Energiemanagement (ZWE); Bild: Hochschule Hof
Rainer Krauß
Kirsten Hölzel

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