Bereits Mitte Januar sind die ersten von insgesamt 15 sogenannten Bürgerforschungsprojekten gestartet, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über eine Laufzeit bis zu vier Jahren fördert. Mit dabei ist auch ein Projekt der Hochschule Hof, dass sich mit der Erforschung seltener Krankheiten beschäftigt und mit rund 600.000 EUR unterstützt wird. Bei Projekten der Bürgerforschung werden Bürgerinnen und Bürger selbst zu Forschenden, indem sie ihre Expertise und ihr Erfahrungswissen einbringen. Dabei erfahren sie aus erster Hand, wie Wissenschaft funktioniert. Gleichzeitig erhält die Wissenschaft Zugang zu neuen Ideen, Perspektiven und Daten.
„SelEe – Seltene Erkrankungen bürgerwissenschaftlich erforschen“, so lautet der Name des von der Hochschule Hof koordinierten Forschungsprojektes, das im April startet und nun eine Förderung seitens des Bundesforschungsministeriums erfährt. Vor Ort in Hof verantwortet wird es von den Professoren Beatrix Weber und Jörg Scheidt, welche ihre Aufgabenstellung im Rahmen des Projektes so umschreiben:
Können mit bürgerwissenschaftlicher Forschung neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der seltenen Erkrankungen gewonnen werden – beispielsweise über die Verbreitung der Erkrankungen oder darüber, in wie weit sich Symptome bei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen unterscheiden? Und kann der Forschungsprozess dabei weitgehend von den Bürgerinnen und Bürgern – insbesondere von Betroffenen – bestimmt werden?“
Prof. Dr. Beatrix Weber und Prof. Dr. Jörg Scheidt
Diese Fragen möchten die beiden Wissenschaftler zusammen mit einem Konsortium aus Bürgerinnen und Bürgern, Forscherinnen und Forschern der Hochschule Hof und dem Universitätsklinikum Frankfurt beantworten.
Selbsthilfegruppen werden einbezogen
Die daran beteiligten Bürgerinnen und Bürger wurden hierzu über Selbsthilfegruppen im Vorfeld angesprochen und von einer Teilnahme am Projekt überzeugt. Insgesamt sollen über den Projektverlauf einige Hundert daran teilnehmen, sei es durch Befragungen oder durch die Erstellung von digitalen Krankheitstagebüchern. Die so beteiligten Bürgerinnen und Bürger setzen sich insbesondere aus von speziellen Krankheiten persönlich Betroffenen zusammen. Gemeinsam erarbeitet man nun Forschungsstrategien und – ziele. Das Projekt kooperiert dabei mit der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE e.V.). Erste Ergebnisse werden im dritten Forschungsjahr erwartet.
Über die Bürgerforschungsprojekte möchte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek den Wissenstransfer in die Bevölkerung beschleunigen:
„Gerade in Zeiten der COVID-19 Pandemie zeigt sich, wie wichtig und ertragreich eine stabile Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sein kann. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an Wissenschaft und Forschung war noch nie so groß wie jetzt. Mit unserer neuen Förderung soll die Bürgerforschung weiter ausgebaut und die Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Einrichtungen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen gestärkt werden. Dazu gehen in diesem Monat 15 neue Projekte mit einem Gesamtvolumen von neun Millionen Euro an den Start. Die Projekte bieten eine bunte Bandbreite: Die Bürgerinnen und Bürger analysieren zusammen mit der Wissenschaft den Permafrost anhand von Aufnahmen aus der Arktis, erarbeiten neue Erkenntnisse zu seltenen Krankheiten oder untersuchen Geschichtsbilder in den Sozialen Medien. Ich freue mich sehr, dass bei den ausgewählten Projekten viele unterschiedliche Akteure aus zivilgesellschaftlichen Organisationen als Projektleiter und Projektpartner dabei sind und wir somit einen weiteren Schritt hin zu einer nachhaltigen Verankerung der Bürgerforschung in Wissenschaft und Gesellschaft gehen können.“
Auswahl durch Juryempfehlung
Eine elfköpfige Expertenjury hatte dem BMBF die ausgewählten Projekte empfohlen: „Uns hat die thematische Vielfalt der eingereichten Projektideen begeistert“, sagt Prof. Ortwin Renn, Juryvorsitzender. „Es zeigt uns, dass Bürgerforschung als Forschungsansatz in vielen wissenschaftlichen Disziplinen angekommen ist und auch die klassische Forschung qualitativ bereichert“.
Hintergrund:
Bei der aktuellen Förderrichtlinie konnten sich zivilgesellschaftliche Organisationen erstmals als Projektkoordinatoren bewerben. Außerdem wurde der Förderzeitraum der Projekte auf bis zu vier Jahre ausgeweitet. Denn Kooperationen zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft brauchen eine stabile Basis und Zeit, um nötige Strukturen der Zusammenarbeit aufzubauen.
Um die Bürgerforschung weiter zu entwickeln und nachhaltig im Wissenschaftssystem zu verankern, hat das BMBF eine Begleitforschung zur Förderrichtlinie beauftragt. In den kommenden vier Jahren wird die technopolis Group die bisherigen Förderaktivitäten des BMBF zur Stärkung der Bürgerforschung analysieren und die Auswirkungen von bürgerwissenschaftlichen Projekten in der wissenschaftlichen Praxis, in den Strukturen der beteiligten Institutionen, bei den beteiligten Bürgerforscherinnen und Bürgerforschern und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern untersuchen.
Weiterführende Informationen unter:
https://www.bmbf.de/de/buergerforschung-225.html
https://www.bmbf.de/de/wissenschaftskommunikation-und-buergerbeteiligung-12531.html