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10 Jahre Institut für Informationssysteme (iisys) – Prof. Plenk im Interview

Prof. Dr. -Ing. Valentin Plenk

Am 01.07.2020 feierte das Institut für Informationssysteme der Hochschule Hof (iisys) seinen 10. Geburtstag! Wir gratulieren und sprechen anlässlich des Jubiläums mit Prof. Dr.-Ing. Valentin Plenk, der seit 2017 wissenschaftlicher Leiter des iisys ist.

Das Institut für Informationssysteme der Hochschule Hof (iisys) wurde 2010 als erstes Forschungsinstitut der Hochschule gegründet. Seitdem ist viel passiert. Wo steht das iisys in seinem 10. Jahr?

Prof. Plenk: Das iisys wurde 2010 mit vier Forschungsgruppen gegründet – mittlerweile sind acht Professorinnen und Professoren sowie über 60 Mitarbeiter in insgesamt sieben Forschungsgruppen tätig. Die Zahl der Projekte, an denen wir arbeiten, liegt bei rund 35. Somit blicken wir mit Stolz auf 10 Jahre Wachstum zurück.

Seit ich die wissenschaftliche Leitung des iisys übernommen habe, hat sich unser Fokus stärker auf die Anwendung verschoben: Die eigentliche IT tritt hinter den Nutzen für den Anwender zurück. Oder plastischer am Beispiel des „Deutschen liebsten Kindes“ – dem Auto – dargestellt: statt technischer Daten wie Zylinderzahl, Einspritzdruck und Höchstgeschwindigkeit rücken wir den Nutzen für den Anwender in Form von Reisezeit, Aktionsradius und Transportleistung in den Vordergrund.

Bitte nennen Sie uns einige aktuelle Forschungsprojekte, an denen am iisys derzeit gearbeitet wird.

Prof. Plenk: Die Forschungsprojekte, an denen wir derzeit arbeiten, lassen sich grob in die Bereiche Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, Mobilität und Medizin einordnen. Hier einige Beispiele:

Industrie 4.0:

Assistenzsysteme

Digital gesteuerte Maschinen und Anlagen in der Produktion werden immer intelligenter. Wenn dann doch was schiefgeht, muss der Bediener eingreifen und kann sich dabei nicht auf das Benutzerhandbuch stützen. An dieser Stelle setzt das Forschungsvorhaben an: Es wird ein digitaler Assistent entwickelt, der in Abhängigkeit vom aktuellen Störungszustand der Anlage konkrete Hinweise zur Behebung der Störung liefert. Durch vorerfasste mögliche Anlagenzustände wird das Personal von der Aufgabe der Identifikation von Störungsgründen entlastet, wodurch Fehldiagnosen vermieden werden. In Bezug auf die Störungsbeseitigung liefert der Assistent klare Anweisungen, so dass das Bedienpersonal die Anlage sehr viel schneller und zum Teil sogar ohne eigenes Erfahrungswissen für den Einzelfall wieder erfolgreich anfahren kann.

Smart Production Planning & Scheduling (ein WiMit Vorhaben)

Ein Manufacturing Execution System (MES) erfordert eine flexible Planung der Maschinenbelegung, damit diese nach verschiedenen Kriterien optimiert werden können. Dabei sollte der Mensch immer die Kontrolle behalten, was passiert, jedoch vom MES bestmöglich unterstützt werden, um den Überblick nicht zu verlieren. Menschen können ab einer gewissen Anzahl Parametern nicht mehr informiert entscheiden. Die Fertigungsplanung ist so eine komplexe Aufgabe die den Menschen ohne Computerunterstützung überfordert. Zu berücksichtigende Faktoren sind u.a. die Fähigkeit der Maschine das Produkt herzustellen, ihre Auslastung, ein Kostensatz, sowie die voraussichtliche Produktionsdauer im Verhältnis zum gewünschtem Liefertermin. Dabei muss nicht nur einmal pro bestelltem Produkt, sondern auch für alle benötigten Bauteile und pro Fertigungsschritt geplant werden.

Weiterhin soll die Optimierungsstrategie möglichst einfach durch den Kunden veränderbar sein. Dies alles wurde in SPPS umgesetzt und in HiCuMES integriert.

Künstliche Intelligenz:

Spracherkennung

Spracherkennung ist durch den Einsatz tiefer neuronaler Netze in den letzten drei Jahren signifikant verbessert worden. Es gibt mittlerweile eine Reihe frei verfügbarer Modelle, die Englisch mit guter Genauigkeit zweistufig erkennen. Zunächst erzeugt das neuronale Netz aus dem Audiosignal Buchstaben, welche anschließend von einem Sprachmodell weiterverarbeitet werden, um daraus die wahrscheinlichsten Wörter zu bilden. Dieser zweite Teil wird bislang oftmals mittels n-Grammen gelöst. Das bedeutet, dass für jeden Buchstaben die 2-3 unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger betrachtet werden. Dann erfolgt evtl. noch eine Zuordnung zu Wörtern aus einem Wörterbuch. Dieser Prozess eignet sich gut für einen begrenzten Wortschatz, führt aber teilweise zu sinnentstellenden Änderungen für unbekannte Wörter oder auch Namen.

Im Anwendungsfall des Unternehmenspartners Grundig Business Systems (Grundig BS) steht das Ziel im Vordergrund, die Spracherkennung speziell für Nicht-Muttersprachler zu verbessern. Da zunehmend mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leben und auch im Gesundheitswesen immer mehr Nicht-Muttersprachler vertreten sind, wäre eine Verbesserung der Spracherkennung von großem Nutzen. Bisherige ASR-Systeme (Automatic Speech Recognition) haben große Schwierigkeiten bei der Bewältigung dieser Herausforderung.

Grundig BS stellt für das Vorhaben Daten und Zugriff auf die von ihnen eingesetzten TTS Engines zur Verfügung und evaluiert die Ergebnisse.

Die Ergebnisse werden als Open Source Software unter permissiver Lizenz veröffentlicht.

Human Pose Estimation

Eine internationale Studentengruppe beschäftigt sich damit, basierend auf Kamerabildern (2D) die 3D Pose zu errechnen, die eine Person auf dem Bild relativ zur Kamera einnimmt. Es werden dabei die Hauptknochen des menschlichen Körpers bzw. die Gelenke dazwischen mit ihrer Position und Drehung im Raum erkannt, also Kopf mit Augen, Oberkörper, Oberarm, Unterarm, Hand, Oberschenkel, Unterschenkel, Fuß. Diese Daten sollen genutzt werden, um den Avatar, also die digitale Repräsentation des Benutzers in Virtual Reality Anwendungen zu steuern. Bisherige VR-Anwendungen stellen nur die Hände bzw. die Handcontroller des Benutzers dar und verzichten ganz auf die körperliche Darstellung. Das ist insb. dann störend, wenn virtuelle Gegenstände eine Position im virtuellen Raum einnehmen, die eigentlich durch die eigenen Beine des Benutzers belegt ist. Man sieht es in der VR Umgebung nicht, aber man spürt, dass es falsch ist, wenn die virtuelle Welt derart gegen die physischen Regeln verstößt. Durch dieses Projekt soll das Problem gelöst werden. Die Anforderungen an die verzögerungsfreie Erkennung und Übertragung der Daten an die VR-Anwendung sind jedoch hoch und ein Erfolg ungewiss.

Mobilität:

lm Rahmen des Projekts „Mobilität Digital Hochfranken (MobiDig)“ werden Verfahren für datenbasierte Bedarfsprognosen entwickelt, mit denen sich Mobilitätsressourcen deutlich effizienter einsetzen lassen. Ziel ist die Schaffung eines wirtschaftlichen und flächendeckenden Angebots der ÖPNV im ländlichen Raum. Eine wichtige Teilaufgabe dieses Projekts ist die Entwicklung eines Data Lakes mit allen relevanten Daten als digitaler Zwilling der Region.

Für die Nutzung personenbezogener Daten gerade auch für Planungsaufgaben im Bereich der Mobilität entwickelt das Forschungsprojekt „Aktuelle Meldedaten (AktMel)“ einen rechtssicheren Ansatz für den Zugriff auf Meldedaten. Zentral sind les- und verstehbare Bedingungen, welche die entwickelte Software steuern und die Kompatibilität mit Vorgaben des Datenschutzes sicherstellen. Für die Formulierung dieser Regeln wird die Sprache COMPASS (Compliance Assertion Language) entwickelt, mit der solche Bedingungen formuliert werden können.

In Zukunft werden selbstfahrende Kleinbusse eine wichtige Rolle für ein flächendeckendes Mobilitätsangebot im ländlichen Raum spielen. Das iisys arbeitet dazu am Projekt „Shuttle-Modellregion Oberfranken (SMO)“ mit. Der Schwerpunkt der eigenen Arbeiten ist die Untersuchung und Optimierung der Kommunikation zwischen autonom fahrenden Fahrzeugen einerseits sowie Nutzern und Verkehrsteilnehmern andererseits.

Das Team des Forschungsprojekts „The Human-Machine-Interface (HMI) in the context of self-driving cars“ arbeitet mit der Valeo Schalter und Sensoren GmbH, einem der weltweit führenden Hersteller von Sensorik-Systemen in der Automobilindustrie, zusammen. Im Rahmen des Forschungsprojektes wird untersucht, wo mögliche Hürden für die Akzeptanz von Fahrerassistenzsystemen liegen und welche Maßnahmen geeignet sind, den Diffusionsprozess der neuen Technologien zu fördern.

Medizin:

eNurse
Das Projekt eNurse der Unternehmung Gesundheit Hochfranken GmbH & Co. KG (UGHO) hat zum Ziel, Haus- und Fachärzte zu unterstützen, indem speziell ausgebildetes, nichtärztliches Personal einen Teil der Hausbesuche übernimmt. Dabei ist das medizinische Fachpersonal in der Lage mit dem Arzt Kontakt aufzunehmen, den Behandlungsverlauf direkt vor Ort zu dokumentieren und in die Praxis zu übertragen.
Das iisys evaluiert das Projekt, und ist insbesondere für die Messung der Zufriedenheit von Patienten, Ärzten sowie des medizinischen Fachpersonals zuständig.

Kopfschmerzregister der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG)
Das zentrale Kopfschmerzregister für Deutschland wird auf Betreiben der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft von einem Konsortium zweier Forschungsgruppen des iisys sowie der smartlytic GmbH – einer Ausgründung der Hochschule Hof – realisiert.
Das Register verfolgt dabei zwei Ziele: Zum einen sollen die Ärzte bei der Diagnosestellung, Verlaufsbeobachtung und Behandlung von Kopfschmerzpatienten unterstützt werden. Dies geschieht durch die Bereitstellung von validierten Instrumenten für eine standardisierte Dokumentation. Zweites Ziel ist die Generierung einer Datenbank mit deutschlandweiten, anonymisierten Versorgungs- und Behandlungsdaten über Kopfschmerzpatienten, die für die Beantwortung wissenschaftlicher Fragestellungen genutzt werden kann, auch in Hinblick auf neue nichtmedikamentöse und medikamentöse Therapien.

Nicht nur Landrat Dr. Oliver Bär betont die Bedeutung des iisys für Wirtschaft und Kommunen in Hof und Umgebung – wie beurteilen Sie die Strahlkraft des Forschungsinstituts für die Region?

Prof. Plenk: Bei so einer Frage muss ich mich ja selbst loben! Das ist fast peinlich, aber zum Glück haben wir dazu kürzlich eine Umfrage bei produzierenden Unternehmen in Oberfranken 2020 gemacht. Zwar kennen nur 36% der Unternehmen überhaupt Einrichtungen, die die Digitale Transformation unterstützen. Davon benennen aber immerhin 21 % das iisys als ihnen bekannte Einrichtung. Das iisys ist also bei denen, die sich mit dem Thema beschäftigen, gut bekannt, aber wir müssen auch sicherlich weitere Aufklärungsarbeit über unsere Forschung leisten.

Mit Projekten wie WiMit, Dammit und der Forschungsstelle Kronach geht das iisys aktiv auf Unternehmen zu und unterstützt effizient bei Fragen rund um die Digitalisierung.

Projekte, wie MobiDig, das Kopfschmerz Radar und das bereits abgeschlossene Smart Grid Solar zeigen die Leistung des iisys als Kooperationspartner für Player wie die LMU, TUM, FAU, Fraunhofer, die Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein oder die Universitätsmedizin Rostock.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft – wie sehen Sie die Entwicklung des iisys in den kommenden 10 Jahren?

Prof. Plenk: Die rasante Entwicklung des iisys der letzten 10 Jahre lässt sich sicher nicht in dieser Dynamik fortführen. Daher sehe ich die Aufgaben des iisys bis 2030 darin:Stabilisieren, weiter vernetzten, weiter kooperieren und neue Themen aufgreifen, wenn sie kommen.

Danke für das Gespräch!

www.iisys.de


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