Kriege und Flucht erschüttern die internationale Politik, rechtspopulistische Parteien erleben einen massiven Aufschwung und in den USA wird Donald Trump erneut als US-Präsident vereidigt. Umfragen zeigen: Eine Mehrheit der Bundesbürger macht sich angesichts vieler Veränderungen mittlerweile Sorgen um die Demokratie. Ob diese Bedenken berechtigt sind und wo die Demokratie bedroht ist, darüber haben wir mit Prof. Dr. Peter Schäfer, der als Professor für Europarecht zum Thema forscht, gesprochen.

Herr Prof. Schäfer, ganz provokant gefragt: Geht die Epoche der Demokratie ihrem Ende entgegen?
„Nein, aber die Demokratie als Staatsform wird vor allem von vier Seiten weltweit in die Zange genommen: einmal von der globalen Migrations- und Fluchtbewegung, die in den Aufnahmestaaten für Ängste und Ablehnung der Migrantinnen und Migranten durch die heimische Bevölkerung sorgt. Erste Verteilungskämpfe brechen aus. Der Sozialstaat, gleichsam der “Brotkorb“ der Demokratie, kommt an seine Grenzen.
Zweitens flammt allerorten der Nationalismus wieder auf – auch und gerade in westlichen Demokratien. Die Bevölkerung fühlt sich wegen der hohen Zuwanderung fremd im eigenen Land. Sie wehrt sich gegen Vorgaben durch „ferne Mächte“ wie der EU oder durch internationale Organisationen.
Drittens haben wir uns im Westen zu sehr an die Segnungen und die Selbstverständlichkeit demokratischer Garantien gewöhnt. Schon drei Generationen kennen seit 1945 keinen Krieg und keine Diktatur im eigenen Land mehr, sind wohl zu satt und bequem geworden, um für die Demokratie zu kämpfen.
Viertens neigen die Aushängeschilder der Demokratie, die gewählten Politikinnen und Politiker, verstärkt zu Nabelschau und Selbstbedienung. Das schafft Verdrossenheit in der Bevölkerung. Gefordert wird darum, eine starke Führungspersönlichkeit solle wahlweise den Berliner, den Pariser, den Washingtoner oder sonst einen politischen „Sumpf“ trockenlegen. Die Demokratie ist daher gefährdet wie seit den 1930er Jahren nicht mehr, aber sie wird sich weltweit letztlich durchsetzen.“
Um es zunächst ganz generell einzugrenzen: Welche Wesensmerkmale machen unsere heutige Demokratie aus?
„Meine Forschungsgruppe konnte bislang 10 Merkmale einer Demokratie westlicher Prägung herausarbeiten: An der Spitze stehen dabei: der Schutz der Menschen- und Bürgerrechte, Pluralismus und Meinungsfreiheit sowie freie, faire und gleiche Wahlen. Immer mehr fanden wir heraus, dass zwei weitere Faktoren für die Akzeptanz unserer Demokratie entscheidend sind: das Vertrauen der Bevölkerung in diese Staatsform und die Regeltreue/Berechenbarkeit der politischen Prozesse.“
Hat sich dieser Demokratiebegriff eigentlich seit der Schaffung des Grundgesetzes verändert oder erweitert – haben wir es vielleicht sogar mit einem permanenten Wandel zu tun?
„Die politischen Prozesse sind heute langwieriger und komplexer als 1949, vor 75 Jahren. Jeder will dabei „mitreden“: ein Heer aus Lobbyisten, Verbänden, Nichtregierungs-Organisationen, sozialen Medien, aus Talkshow-Dauergästen oder allen möglichen Beauftragten für „Tod und Teufel“ (z.B. Datenschutz, Gleichstellung, Ostdeutschland…).
Wir beraten und koordinieren uns zu Tode. Passte Konrad Adenauers Bundeskanzleramt in den 50er-Jahren noch in eine kleinere Villa, arbeiten heute dort ganze Stäbe in einer Berliner Megabehörde. Aus einem jahrzehntelangen, stabilen Dreiparteiensystem von CDU/CSU, SPD und FDP wurde ein buntes Parlament mit wechselnden Koalitionen und ausgreifenden Flügeln links wie rechts. Die Demokratie ist variabler und damit anfälliger geworden.“
Prof. Dr. Peter Schäfer

Kann man den deutschen oder mitteleuropäischen Demokratiebegriff von dem anderer Regionen abgrenzen – und wo liegen die Unterschiede?
„Kaum, denn die Grundverbürgungen eines demokratischen Staates sind weltweit gleich. Dazu zählen auch die Rechte einer politischen Opposition und die Garantie einer gewaltfreien Machtübergabe von Regierung A auf Regierung B. Allerdings kennen manche Länder eine sehr starke Exekutive, sprich ein starkes Präsidentenamt im System der Gewaltenteilung – wie die USA und das bereits autokratische Russland. Einige Staaten, wie die Schweiz oder Dänemark, beteiligen ihre Bürgerinnen und Bürger durch Volksentscheide direkter und spontaner an der Gesetzgebung. Indien ist schließlich der Beweis dafür, dass demokratische Wahlen auch in einem Land mit 1,4 Mrd. Menschen rechtssicher ablaufen können. Die fast gleich große chinesische Bevölkerung wird die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei noch vor 2050 beenden – da bin ich mir sicher.“
Wie wichtig ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie? Und wenn es wichtig ist: Wie messen wir dieses Vertrauen?
„Dieses Vertrauen ist ELEMENTAR für den Fortbestand unserer Demokratie. Ich gehe nur zur Wahl, wenn ich sicher bin, dass meine Stimme auch in vier Jahren noch und dann wieder zählen wird. Vertrauen ist ein persönliches, „weiches“ Empfinden in die Verlässlichkeit und Beständigkeit von Mitmenschen und Institutionen. Wir können es nicht so valide und präzise messen wie Temperatur und Luftdruck. Wir wollen aber Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 19 Jahren aller Schulformen in Hochfranken in diesem Jahr befragen, wie sich ihr Vertrauen in die Demokratie seit dem Ende der Corona-Krise 2022 verändert hat und warum.“
Ist die Demokratie westlicher Prägung noch wettbewerbsfähig gegenüber autoritären Systemen?
„Ja, die Demokratie ist und bleibt die nachhaltigste, zukunftsfähigste Staatsform! Nur sie sichert den Beitrag aller klugen, manchmal auch hitzigen Köpfe eines Landes. Nur sie gewährleistet „Re-Präsentation“, also mein eigenes „Wiederfinden“ in staatlichen Entscheidungen – wenn auch oft sehr indirekt und unvollkommen. Der mündige, aufgeklärte Bürger des 21. Jahrhunderts weiß inzwischen, dass an der Spitze von Diktaturen keine „idealen“ Diktatoren stehen, sondern machthungrige Narzisten à la Trump und Xi Jinping. Allerdings muss die Demokratie schneller und mutiger werden: das Steuerrecht mit seinen Schlupflöchern entrümpeln, Sozialleistungen rascher prüfen, Baugenehmigungen schneller erteilen, Straftäter rascher aburteilen, Verkehrswege zügiger planen und bauen – das tut Not. Die Demokratie muss beim Bürger punkten.“
Wie kann sich Demokratie bewähren in einer Zeit, in der auch moderne Technik immer mehr Manipulation ermöglicht?
„Das ist ein wunder Punkt! Die rechtsstaatlichen Kontrollverfahren einer Demokratie werden den technischen Möglichkeiten der Manipulation meist hinterherhinken. Der Vorbehalt des Gesetzes, Anhörungsrechte und Datenschutz hemmen den demokratischen Aufpasser im Vergleich zu seinem russischen oder iranischen Kollegen. Social-Media-Kraken wie X und Meta müssen in meinen Augen regelmäßig von der Wettbewerbsaufsicht zerschlagen werden, um ihre Marktmacht nicht missbrauchen zu können.“
..und denken wir an das Thema Künstliche Intelligenz – auch hier sehen ja viele Gefahren.
„Die KI verheißt uns vieles und sollte nicht voreilig verteufelt werden. Doch im politischen Prozess einer Demokratie muss der natürliche Mensch die Letztkontrolle und -entscheidung haben, z.B. bei der Personalauswahl oder einem Gerichtsurteil. Israel und Großbritannien aber – zwei unstrittige Demokratie – beweisen, dass auch die Geheimdienste demokratischer Staaten wirkungsvoll und rasch den Angriffen despotischer Staaten auf das westliche Regierungsmodell durch Cyber-War, Trolle und Fake-News begegnen können.“
Vielen Dank für das Gespräch!